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Zamfir Constantin Arbure – Memoiren eines Anarchisten in Rumänien

Über kaum ein europäisches Land gibt es so wenig Information und Wissen über die anarchistische und anarcho-syndikalistische Bewegung als über sie in Rumänien. Während die Bewegung im südlich benachbarten Bulgarien zu einer der zahlenmäßig größten Anwuchs und nachhaltigen gesellschaftlichen Einfluss erreichte, bevor sie schließlich durch die Diktatur der Nationalisten - und den auf sie folgenden Kommunisten in die Illegalität und Vernichtung gedrängt wurde - blieb der Einfluss der Anarchisten in Rumänien immer gering. Nach bisherigen Forschungsergebnissen ist der Zeitraum von 1907 bis 1916 als die Hochblüte der anarcho-syndikalistischen Bewegung in Rumänien anzusehen. Besonders in den Industriezentren Ploieşti, Galaţi und Brăila organisierte sich die Arbeiterschaft zu großen Teilen auf syndikalistischer Grundlage, publizierte anarcho-syndikalistische Zeitschriften und führte Tageskämpfe um die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen mit dem Mittel der direkten Aktion.

Zuvor existierten nachweislich spätestens ab 1896 einzelne anarchistische Zirkel in Städten wie Iaşi und Bukarest, oftmals als Teil der sozialdemokratischen Partei.

Einen Blick in die Geburtsstunde des rumänischen Anarchismus gewähren uns der Lebenslauf und die Memoiren von Zamfir C. Arbure „Temniţa şi Exil“ (Kerker und Exil).

Arbure, in manchen Zeitschriften und Beiträgen auch als Arbore bezeichnet, sowie weiterhin auch unter seinem Pseudonym Ralli auftretend und schreibend, wird am 14. November 1848 unter begüterten Verhältnissen in Cernăuti (damals Österreich-Ungarn, heute Ukraine) geboren.

Mit 17 Jahren führt ihn sein Studium nach Moskau, in die Hauptstadt des vom despotischen Zaren regierten Russland. Nach einem missglückten Attentat auf den Zaren wird er, bis dahin nahezu unpolitisch, zusammen mit weiteren Studenten bei einer groß angelegten Razzia aus seinem Wohnheim heraus verhaftet und in den Kerker geworfen. Dort beginnt sein Politisierungsprozess, welchen er in seinen vorliegenden Erinnerungen zusammen mit der bedrückenden Realität des zaristischen Russlands und der allgegenwärtigen Geheimpolizei ausführlich beschreibt. Zamfir Arbure schließt sich der Bewegung der sozialrevolutionären Narodniki an, welche unter hohen persönlichen Verlusten einen unerbittlichen, bewaffneten Kampf gegen das Zaren-Regime und seine Statthalter führen. Er macht die persönliche Bekanntschaft mit Sergej Necaev und wenig später mit Alexander Herzen. Aufgrund des zunehmenden Verfolgungsdrucks der russischen Behörden siedelt er um 1870 nach Zürich und dann nach Genf über, wo er zu einem aktiven Mitarbeiter Michail Bakunins wird. Persönliche Bekanntschaften und die Zusammenarbeit mit Eliseé Reclus und Peter Kropotkin schließen sich an. Ralli, wie er sich in Genf nennt, richtet eine Druckerei ein und editiert und vertreibt sozialrevolutionäre und anarchistische Schriften. 1875 erscheint die erste Nummer des Rabotnik (der Arbeiter), dem ersten russischen sozialrevolutionären Blatt im Zeitungsformat. Er verfasst neben vielen Beiträgen auch ein Buch über die Pariser Kommune und ist für die Bewegung darüber hinaus auch organisatorisch tätig. Er ist Mitglied der 1. Internationale, steht auf der Seite des anarchistischen Flügels und ist in der Jura-Föderation aktiv. Zusammen mit dem italienischen Anarchisten Errico Malatesta übersetzt er eine Schrift Bakunins ins spanische und beabsichtigt 1874 zusammen mit diesem dort an den revolutionären Erhebungen teilzunehmen. Dazu kommt es jedoch nicht. Im Laufe der Zeit zerstreitet er sich mit Bakunin. Der Kontakt zu Reclus reist jedoch nie ab, und noch kurz vor Reclus` Tod 1905 besucht dieser Arbure, welcher mittlerweile in Bukarest lebt. Nach seiner Rückkehr in das Zarenreich lässt er sich in Bessarabien nieder, wo er weiterhin im sozialrevolutionären Sinne aktiv ist. U.a. versucht er an die 100 Pistolen, in Bücher eingepackt, in das zaristische Russland zu schmuggeln, um den bewaffneten Widerstand zu unterstützen. Gleichzeitig legt er ein Hauptaugenmerk auf die Bekämpfung des in Rumänien selbst in der Arbeiterbewegung und der sozialdemokratischen Partei stark verbreiteten Anti-Semitismus und Nationalismus. Gesellschaftlich bewegendes Thema ist zu dieser Zeit u.a. die Situation Bessarabiens, welches ein geopolitischer Spielball sowohl der rumänischen als auch der russischen Politik ist. Bis 1812 zum Fürstentum Moldau (und damit zu Rumänien) gehörend, fällt es dann an Russland und wird 1917 als Folge der russischen Revolution wieder nach Rumänien eingegliedert. Nach dem zweiten Weltkrieg, an welchem Rumänien auf Seiten der Nazis teilnimmt, fällt es an die Sowjetunion. Heute ist es sowohl Teil Moldawiens als auch der Ukraine. Gegen die nationalistischen russischen als auch rumänischen Bestrebungen, tritt Arbure für eine Autonomie Bessarabiens von beiden Staaten ein. Dazu reist er durch Rumänien und tritt so auch im September 1914 im Bukarester „Arbeiterklub“ auf. Zusätzlich publiziert er eine Vielzahl an Artikeln in verschiedensten sozialistischen Zeitungen.

Über die sozialistischen und anarchistischen Kreise hinaus macht er sich durch seine gründlichen Forschungsarbeiten zur Geographie Bessarabiens einen Namen. Eine Leidenschaft, die er mit Eliseé Reclus teilt. Sein 1904 erschienener Dicţionar geografic al Basarabiei ist das erste Werk zur bessarabischen Geographie überhaupt.

Er wird Vater eines Sohnes Dumitru und zweier Töchter, Ecaterina und Nina. Die 1873 geborene Ecaterina Arbure wird zu einer einflussreichen Persönlichkeit der sozialistischen Bewegung und schließlich der illegalisierten kommunistischen Partei Rumäniens. Auf Befehl Stalins wird sie 1937 in Tiraspol ermordet. Nina Arbure entwickelt sich zu einer bekannten Künstlerin. Über seinen Sohn Dumitru konnte ich keine Hinweise ausfindig machen.

Er selber tritt noch bis ins Hohe Alter von 84 Jahren für seine Überzeugungen ein. So publiziert er noch 1932 in der Zeitschrift „Viaţa Basarabiei“ in Kischinjow.

Doch mit seiner rumänischen Wahlheimat kann er sich nicht anfreunden. Er „hasse jeden Moment in Rumänien“. „Überall wo ich hinblicke, sehe ich nur verrottetes. Alte und Junge…Menschen aus gebildeten wie aus der ungebildeten Masse, alle schmoren zusammen im selben Pfuhl, ohne sich zu fragen, was ihr Leben eigentlich bedeutet, verbunden in der gemeinsamen Ignoranz der Frage, was ihr Leben eigentlich soll“. „Mitten in der rumänischen Gesellschaft zu leben, - ich für meinen Teil, war nicht in der Lage, mit dieser Gesellschaft zu verschmelzen. Das ist der Grund, warum niemand mich kennt, und auch ich niemanden kenne. Freunde in Rumänien habe ich nicht und hatte ich nie.“ „Wirkliche Freundschaft konnte ich hier nicht finden“, sind Worte aus dem ersten Kapitel aus Temniţa şi Exil. Glücklich und im gemeinsamen Ziel der Veränderung vereint sei er nur in Bessarabien und Russland gewesen.

Diese, bis 1881 (dem Jahr, in welchem er die rumänische Staatsbürgerschaft erhält), reichenden Memoiren, werden auch vom bekanntesten Historiker des Anarchismus, Max Nettlau, in seiner „Geschichte der Anarchie“ erwähnt. (Zusammen mit einem weiteren Erinnerungsbuch Arbures mit dem Titel „In Exil. Din Amintirele mele“ (im Exil – Meine Erinnerungen).

Beide Bände werden von Nettlau jedoch dahingehend kritisiert, dass sich in ihnen auch „irrtümliches“ finde. Was genau in ihnen „irrtümlich“ sein soll, beschreibt er nicht. Der letztgenannte Band Arbures endet mit seinen Beschreibungen im Jahre 1896.

Und so finden sich seine weiteren vielfältigen Aktivitäten und die folgenden gesellschaftlichen Ereignisse, so auch die Entstehung und Entwicklung der anarcho-syndikalistischen Bewegung, darin nicht wieder. Vieles von und über ihn - über diese Phase der anarchistischen und sozialrevolutionären Bewegung Rumäniens wartet noch darauf, (wieder)entdeckt, zusammengetragen und veröffentlicht zu werden. Kein leichtes Unterfangen. Denn die kommunistischen Diktaturen in Rumänien und der Sowjetunion verbannten seine zahlreichen Schriften – mit Ausnahme derer zur Geographie – in die Giftschränke. Zusätzlich erschweren die zahlreichen verschiedenen Schreibweisen seines Namens und seines Pseudonyms die Suche.

Auch gilt es, auf den ersten Blick widersprüchliches zu bewerten und richtig einzuordnen. So soll er z.B. als Vertreter Bessarabiens um 1920 Mitglied des rumänischen Senats gewesen sein. Was die Gründe dafür gewesen sein mögen – auch das gilt es zu erforschen. Mit Sicherheit lässt sich aber jede nationalistische Betrachtung Arbures ausschließen. Kein geringerer als der Antisemit, Historiker und Leiter der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei der 20er und 30er Jahre des letzten Jahrhunderts, Nicolea Iorga, versuchte aus Arbure einen „Vorkämpfer für die Vereinigung Bessarabiens mit Rumänien“ zu machen, obwohl dieser Zeit seines Lebens eine Autonomie Bessarabiens vertreten hat. Getreu dieser Verfälschung wird er heute auf der Homepage der Rumänischen Bibliothek als „Nationalist“ bezeichnet. Und auch die heutigen Faschisten und Nationalisten sind präsent. Mit einem angeblich aus seiner Feder stammenden Jubel-Text auf Rumänien und dessen König versuchen sie diesen lebenslangen Internationalisten und Sozialisten für ihre Zwecke einzuspannen.

Seine letzten Lebensjahre verbringt er in Bukarest. Dort arbeitet er als Direktor des statistischen Amtes und schreibt für verschiedene Zeitungen, darunter auch eine für Kinder und Jugendliche. Am 2. April 1933 stirbt er in der rumänischen Hauptstadt.

Die Übersetzung seiner Memoiren Temniţa şi Exil aus dem rumänischen in die englische Sprache ist in Arbeit. Zusätzlich ist eine ausführliche Darstellung über sein Leben in der Entstehung begriffen. Der kanadische Verlag „Black Cat Press“ hat bereits Interesse an der Publikation signalisiert. Auch eine Wiederherausgabe in rumänischer Sprache ist geplant.

Maria Lidia & Martin Veith

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