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Helge Döhring
Syndikalismus: Der Begriff im Kontext der
Entwicklung des Syndikalismus in Deutschland und der „Internationalen
Arbeiter-Assoziation“ (IAA)
Der Ursprung der syndikalistischen Arbeiterbewegung
Die Geschichte in Deutschland wurde zunächst durch den Begriff des „Lokalismus“
geprägt. Dieser bezeichnet dabei gleichzeitig die Herkunft und die Motivation
der syndikalistischen/anarcho-syndikalistischen Bewegung. Sie entstammte der
Sozialdemokratie und wandte sich im Zuge der Verhältnisse unter den sog.
„Sozialistengesetzen“ (1878-1890) einem föderalistischen Gewerkschaftsmodell zu,
in welchem die Ortsvereine Souverän ihrer Entscheidungen blieben und sich keiner
Zentralinstanz unterordnen mussten. Das lag darin begründet, dass die regionalen
Vereinsgesetze oftmals nur lokale Vereinigungen zuließen und zum anderen daran,
dass die „Lokalisten“ die zentralistische Organisationsform als anfälliger für
Repressions- und Korruptionsmaßnahmen ansahen. Desweiteren kritisierten sie die
Tendenz, die Aufgaben der Gewerkschaften lediglich auf die Tagesfragen nach
höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen festzulegen. Der Klassenkampf der
Arbeiterklasse solle nicht die alleinige Aufgabe der sozialdemokratischen Partei
sein. Hier lag der Keim für die weitere Ausformung des
Syndikalismus/Anarcho-Syndikalismus begründet, die Gewerkschaften gleichermaßen
als ökonomische, politische und kulturelle Bewegung anzusehen und auszurichten.
Die Organisation der Lokalisten
Nach dem Ende der „Sozialistengesetze“ im Jahre 1890 und weiteren
Zentralisierungstendenzen auf dem Kongress von Halberstadt 1892 entstand
innerhalb der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung eine Opposition zur
„Generalkommission für die Zentralverbände“, welche sich dieser Entwicklung
verweigerte und sich auf Reichsebene ihm Jahre 1897 als
„Vertrauensmänner-Zentralisation Deutschlands“ bzw. „Zusammenschluß der
lokalorganisierten oder auf Grund des Vertrauensmännersystems zentralisierten
Gewerkschaften Deutschlands“ organisierte. Bis zum Kriegsausbruch im Jahre 1914
hielt die 1901 in „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG) umbenannte
Organisation 11 Reichskongresse ab. Besonderen Anklang fand sie bei den
Berufsvereinigungen der Bauarbeiter mit Zentrum in Berlin. Insgesamt vereinigte
sie bis zum Ersten Weltkrieg bis zu 20.000 Mitglieder. Die organisatorischen
Köpfe fanden sich in Fritz Kater, Gustav Keßler, Andreas Kleinlein und Carl
Thieme, welche sowohl die Geschäftskommission stellten, als auch seit 1897 für
das zentrale Organ „Die Einigkeit“ verantwortlich waren, welches in einer
Auflage von 10.000 zweiwöchentlich erschien.
Vom Lokalismus zum Syndikalismus
Um die Jahrhundertwende bestand die Bewegung aus revolutionären Sozialdemokraten
und Parteimitgliedern, doch ging die Partei in den Jahren ab 1902 verstärkt dazu
über, die lokalistische Bewegung und ihr Programm der „Propaganda für die Idee
des Massen- resp. Generalstreiks“ offensiv zu bekämpfen, bis die Parteitage der
Jahre 1906 bis 1908 den Ausschluß der dort als „Anarcho-Sozialisten“ betitelten
lokalorganisierten Mitglieder thematisierte. Diese bezeichneten sich gemäß ihrer
programmatischen Ausformung selber immer häufiger als „Syndikalisten“. Ihre
Entwicklung wurde weiterhin maßgeblich durch die Schriften von Fernand
Pelloutier („Anarchismus und Gewerkschaften“), Arnold Roller (d.i. Siegfried
Nacht: „Der soziale Generalstreik“) und vom Konzept der französischen „bourses
du travail“, den sog. „Arbeiterbörsen“ geprägt. Im Jahre 1908 fällte die SPD auf
ihrem Parteitag in Nürnberg einen Unvereinbarkeitsbeschluß mit den
lokalorganisierten Gewerkschaften, woraufhin nur etwa 8.000 der insgesamt ca.
16.000 Mitglieder in der FVDG verblieben.
Die weitere programmatische Ausrichtung des Syndikalismus
Diese prägten fortan den Begriff „Syndikalismus“ in Deutschland und darüber
hinaus und gaben sich im Jahre 1911 das Programm „Was wollen die
Syndikalisten?“. Das ideelle Fundament speiste sich zusätzlich vornehmlich aus
den Schriften Peter Kropotkins und trug die Bezeichnung „Kommunistischer
Anarchismus“. Die Syndikalisten der FVDG setzten sich nicht nur für bessere
Lohn- und Arbeitsverhältnisse ein, sondern auch für die Abschaffung des
kapitalistischen Wirtschaftssystems zugunsten einer freien und von der
Arbeiterschaft selbst verwalteten Gesellschaftsform. Dieser Umformungsprozeß
sollte durch einen Generalstreik eingeleitet werden, in dessen Folge die bislang
profitorientierte Produktion zugunsten einer bedürfnisorientierten und
solidarischen Wirtschaftsweise umgestellt werden sollte. Die Aufgaben der
Bedarfsermittlung, der Verteilung der Produkte, aber generell auch der
kulturellen Belange und die der Bildung und Erziehung sollten den Arbeiterbörsen
vorbehalten bleiben, in welchen die einzelnen Berufsverbände, sowie die
außerberuflichen syndikalistischen Vereinigungen zusammengefasst wurden. Dieses
Konzept wurde im Wesentlichen formuliert in der „Prinzipienerklärung des
Syndikalismus“ von Rudolf Rocker im Jahre 1919 und 1922 von der
„Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen“ ausführlicher präzisiert in der
Schrift „Die Arbeiterbörsen des Syndikalismus“. Abgesehen von diesem Kernbereich
wendeten sich die Syndikalisten auch gegen alle materiellen und ideologischen
Bestrebungen, welche der Forcierung des Klassenkampfes zuwiderliefen,
beispielsweise dem Nationalismus, dem Militarismus und des Kirchenwesens.
Der Syndikalismus zur Zeit des Ersten Weltkriegs
Infolge ihres Charakters wurde die FVDG mitsamt ihrer Presse („Die Einigkeit“
und „Der Pionier“) zu Kriegsbeginn im Jahre 1914 verboten, während die SPD und
die Zentralgewerkschaften mit der deutschen Regierung den „Burgfrieden“
schlossen und begünstigt wurden. So mußten beispielsweise die Redakteure vieler
SPD-Organe nicht zum Militärdienst antreten. Im Gegensatz zu diesen wurden viele
Syndikalisten verhaftet, die öffentlich gegen den Krieg eintraten. Zudem wurden
viele Aktivisten der FVDG zum Militärdienst eingezogen, so dass die bloße
Aufrechterhaltung der Organisation oberste Priorität erlangte. Dazu gab die
Geschäftskommission während der Kriegsjahre zwei Organe heraus, welche nach
kurzer Zeit verboten wurden: Das „Mitteilungsblatt der Geschäftskommission der
Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (1914-1915) und das „Rundschreiben
an die Vorstände und Mitglieder aller der Freien Vereinigung deutscher
Gewerkschaften angeschlossenen Vereine“ (1915-1917).
Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus nach dem Ersten Weltkrieg
Mit dem Ende des Krieges konnte sich die FVDG neu formieren und viele von der
Sozialdemokratie enttäuschte Arbeiter ansprechen. Bis 1919 schlossen sich schon
etwa 60.000 Mitglieder an. Auf ihrem ersten Nachkriegskongress Ende 1919
vereinigten sich unter dem Programm der genannten „Prinzipienerklärung des
Syndikalismus“ in der in „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) umbenannten
Organisation bereits über 111.000 Syndikalisten aus dem gesamten Reichgebiet mit
regionalen Schwerpunkten in fast allen größeren Städten, besonders aber im
Rheinland, im Ruhrgebiet, in Schlesien und in Berlin. Ortsvereine entstanden vor
allem dort, wo die Industrialisierung einsetzte, und zudem
zentralgewerkschaftliche Organisationen noch nicht Fuß gefasst hatten, so auch
in vielen Kleinstädten und Dörfern. Lag der Branchenschwerpunkt während der
Kaiserzeit bei den Bauarbeitern, so kamen jetzt vor allem Metallarbeiter und
Bergarbeiter zu zehntausenden hinzu. Auch in der Holz-, der chemischen- und
Verkehrsindustrie wuchsen mancherorts starke syndikalistische Organisationen
heran. Die FVDG war eine originäre proletarische Organisation. Intellektuelle
bildeten auch auf Funktionärsebene eine seltene Randerscheinung. Begrifflich
änderte sich 1919 der Organisationsname zugunsten des Elements „Union“, womit
den seit Anfang des 20. Jahrhunderts veränderten Produktionsprozessen Rechnung
getragen wurde. Die Mitglieder sollten nicht mehr nur nach speziellen
Berufsgruppen organisiert, sondern möglichst nach Industriebereichen
zusammengefasst werden, um ihre Schlagkraft am Ort zu erhöhen. Zudem änderte
sich im Jahre 1921 per Kongreßbeschluß die offizielle Bezeichnung „FAUD
(Syndikalisten)“ in das bis 1933 gültige „FAUD (Anarcho-Syndikalisten)“, womit
das kommunistisch-anarchistische Fundament verdeutlicht wurde. Dennoch wurden
die Begriffe „Syndikalismus“ und „Anarcho-Syndikalismus“ in Deutschland sowohl
von Zeitgenossen als auch in der Forschung auch synonym verwendet, da sich
außerhalb des Anarcho-Syndikalismus keine rein syndikalistische Organisation
definieren konnte. Nahestehende Zusammenschlüsse, wie beispielsweise die
„Arbeiter-Unionen“ oder die „Föderation kommunistischer Anarchisten
Deutschlands“ orientierten sich rein unionistisch oder anarchistisch.
Die Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA)
Der Syndikalismus in Deutschland, wenngleich zahlenmäßig nicht größer als etwa
150.000 im Jahre 1922, hatte bedeutenden theoretischen und organisatorischen
Einfluß auf die internationale syndikalistische Arbeiterbewegung. Im gleichen
Jahr wurde in Berlin in der Tradition der „Ersten Internationale“ von 1864 die
„Internationale Arbeiter-Assoziation“ neu gegründet. Rudolf Rocker verfasste die
Prinzipienerklärung und stellte zusammen mit Augustin Souchy und Alexander
Schapiro bis 1933 das Sekretariat in Berlin. Die IAA vereinigte bis zu zwei
Millionen Mitglieder. Ihre stärksten Sektionen hatte sie in Europa und
Südamerika. Die IAA vertrat den Standpunkt, dass sich der Begriff
„Syndikalismus“ alleine nicht genüge.
Syndikalismus: Zum Gebrauch des Begriffs
Tatsächlich versuchten autoritär-kommunistische und faschistische Kräfte vor
allem in Frankreich, Italien und später auch in Spanien den Begriff für ihre
Ziele in Anspruch zu nehmen. Gegenüber manch solcher zentralistischer und
nationalistischer Abart mit Bezug auf Georges Sorel muß betont werden, dass sich
die internationale syndikalistische Arbeiterbewegung bewusst an den Ideen und
Methoden des Anarcho-Syndikalismus orientierte, wie er sich auch in Deutschland
formierte. Entgegen mancher Auffassung spielte Georges Sorel für die
syndikalistische Arbeiterbewegung in Deutschland keine und in den meisten
anderen Ländern, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle. Was die
Konkretisierung des Begriffs „Syndikalismus“ dennoch gerade im internationalen
Zusammenhang notwendig macht, ist die einfache Tatsache, dass der Begriff von
Land zu Land eine andere Bedeutung hat. Er stammt nämlich aus dem französischen
von „syndicat“ und bezeichnet in den romanischsprachigen Ländern zunächst einmal
lediglich einen weitgehend unbestimmten Gewerkschaftsbegriff. Zur Unterscheidung
von sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften wird auch der wenig geeignete, weil
inhaltlich nur mäßig bestimmte und ungenaue Begriff „revolutionärer
Syndikalismus“ verwendet.
Bremen im März 2008
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