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Sergej Schewtschenko
Machno ist unser Zar, Machno ist unser Gott
Böse Bemerkungen zur 110- Jahresfeier der Geburt von Nestor Machno.
Am 9.-10. Dezember 1998 veranstalteten die Staatliche Universität der Stadt
Saporoshje und die örtlichen Behörden in Machnos Geburtsort Guljaj-Polje
Feierlichkeiten zu Ehren des revolutionären Anarchisten. Von der Universität
wurde ein wissenschaftliches Symposium ausgerichtet, die Behörden veranstalteten
ein ‚Volksfest’. GenossInnen von Dikoe Polje, einem anarchistischen Verlag in
Saporoshje, hatten uns eingeladen, auf dem Symposium zu referieren. Wir
schickten per Fax ein Referat, das aber nicht ins Programm des Symposiums
aufgenommen wurde. Allerdings hatten wir dann Gelegenheit, mit anderen
TeilnehmerInnen der Feierlichkeiten ins ca. 80 km östlich gelegene Guljaj Polje
zu fahren.
Ein großer Tag...
Am nächsten Morgen nahmen wir unsere Fahnen und liefen zum Platz vor dem
Kulturpalast in der Innenstadt von Guljaj-Polje. Als wir dort ankamen, war der
Platz schon voller Menschen, es spielte Musik, das ‚Volksfest’ stieg.
Lautsprecher machten es unmöglich, die konzentrierten Bemühungen der örtlichen
Dichterklubs nicht zur Kenntnis zu nehmen – sie paraphrasierten die Losung des
Tages: ‚Machno ist unser Zar, Machno ist unser Gott’. Die gelbblaue Staatsflagge
der Ukraine wehte an der Fahnenstange. Unsere Verwirrung ging in Empörung über,
als Kosaken aus Saporoshje mit ihren vor christlichen Heiligtümern prangernden
Fahnen in Erscheinung traten. Ihr Oberkommando – die Atamane – fuhren protzig in
ausländischen Nobelkarossen vor. Der Platz verwandelte sich in ein pöbelhaftes
Schauspiel militär-historischen Gehabes, das von den örtlichen Behörden gern
gesehen wurde und den Mittelpunkt des ‚Volksfestes’ darstellte. Zahn Anarchisten
saßen mit eigenen Fahnen abseits. Leute kamen auf uns zu, sympathisierten mit
uns: ‚Richtig so! Machno-Fahnen: Bravo!’ Welch ein Tag: die selbstzufriedenen
Gesichter, die goldenen Epauletten, die Uniformen der Petljura und Gajdamak-
Truppen, die Fahnen der Feinde Nestor Machnos... Alles, was so vielen Machnowzy
das Leben gekostet hat, war wieder an die Oberfläche geschwommen. Es
beschmutzte, besudelte und verunglimpfte die Erinnerung an Machno, den
Anarchisten. Die VertreterInnen der örtlichen Behörden und der Kosaken lobten
fröhlich in aller Ausführlichkeit die Verdienste Nestor Machnos als Vorkämpfer
für die Unabhängigkeit des ukrainischen Staates! Kein einziges Wort über seine
Rolle als Anarchist und Revolutionär! Insgesamt war es eine Schande: der Tag,
der ein anarchistischer hätte sein sollen, war statt dessen ein Tag des
ukrainischen Staates."
Aus: Direkte Aktion (DA) Nr. 131 (Januar/ Februar
1999)
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