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Aljoscha, FAU Düsseldorf und bewi, FAU Münster:
Umsonst is dat nie: Gelebtes Leben oder die Sehnsucht nach
der Anarchie
Zum 90. Geburtstag von Hans Schmitz
Bei den „Schwarzen Scharen"
Schon früh war Hans Schmitz in der anarchistischen und syndikalistischen
Bewegung aktiv, erst in der anarchistischen Jugendgruppe "Freie Jugend
Morgenröte", der SAJD (Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands,
Jugendorganisation der FAUD), später in der Freien Arbeiter- Union Deutschland (FAUD)
und in den "Schwarzen Scharen", einer militanten anarchistischen Anti-Nazi
Organisation.
Die Gründung einer solchen Gruppe schien den jugendlichen
AnarchosyndikalistInnen, die eigentlich pazifistisch orientiert waren, aufgrund
des zunehmenden Nazi-Terrors notwendig. Man wollte sich einfach den
Schlägertrupps der Nazis entgegenstellen. Aufgrund der Uniformierung der
Schwarzen Scharen gab es Protest aus den Reihen der FAUD, dennoch wurde die
Wuppertaler Schwarze Schar bei Kundgebungen und Veranstaltungen der FAUD in der
Region oft als Saalschutz eingesetzt.
Das Tragen eines schwarzen Hemdes konnte schon in den letzten Jahren der
Weimarer Republik zum Verhängnis werden. Hans berichtete, wie er 1931 so
bekleidet wegen gefährlichem Waffenbesitz verhaftet wurde, weil er ein
Taschenmesser bei sich trug. Wenige Meter weiter marschierten Hitler-Jugendliche
mit dolchartigen Messern, die der Polizei jedoch kein Dorn im Auge waren, da es
"Fahrtenmesser" seien, die zudem in einer Lederscheide steckten.
Illegaler Widerstand
Als es 1933 zur Machtübernahme durch die NSDAP kam, lösten sich die
anarchosyndikalistischen Gruppen auf, so auch die SAJD- Wuppertal, der Hans als
Kassierer angehörte. Damit hörte der Widerstand jedoch nicht auf. Mit einem
Schmunzeln im Gesicht erzählt Hans bei Zeitzeugengesprächen, wie der
Fackelmarsch der NSDAP am Tag der Machtübernahme wörtlich ins Wasser fiel. Hans
Schmitz und ein Dutzend weiterer anarchistischer und kommunistischer
Jugendlicher trieben die den Hitlergruß übenden jubelnden Massen mehrmals in den
Fackelmarsch, und die fackeltragenden SS-Schergen schlugen, so provoziert, mit
ihren Fackeln in die Jubelnden. Das Spielchen wiederholte sich einige Male, bis
die SS den wahren Grund für die Tumulte herausfand, und es den Jugendlichen
besser erschien, zu verschwinden.
In den folgenden Monaten und Jahren gab es vielfältige Beispiele
antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit: Plakate wurden geklebt - eine Aktion,
die die antifaschistischen Jugendlichen schnell wieder unterließen, als sie mit
ansehen mussten, wie ihre gefangenen GenossInnen diese mit blutverkrusteten
Händen unter Aufsicht der SS mühsam wieder abkratzen mußten, Koffer wurden
benutzt, um antifaschistische Parolen auf die Straßen zu stempeln usw.
Die wichtigste Funktion, die die Untergrundorganisationen der anarchistischen
Gruppen jedoch hatten, war der Transport von gesuchten politischen Flüchtlingen
über die Grenze. Hans Schmitz fungierte hier als Fahrradkurier, getarnt als
Radsportler.
1935 lernte Hans Schmitz bei einer Schlägerei mit der HJ seine spätere Ehefrau
kennen, die zu den "Düssel-Piraten" gehörte, die Hans und seinen FreundInnen zur
Hilfe eilten. Jugendliche, die sich der HJ verweigerten, organisierten sich oft
als EdelweißpiratInnen, trugen karierte Hemden und rote Halstücher. Oft
benannten sich die lokalen Gruppen nach den regionalen Flüssen. Alsbald gab es
auch die Wupper-Piraten.
Verhaftung und Soldat
Am 1. April 1937 wurde auch Hans Schmitz im Zuge einer Verhaftungswelle am
Arbeitsplatz von der Gestapo besucht. Er war vorgewarnt, daher konnte die
Gestapo keinerlei Indizien für antifaschistische Betätigungen finden. So wurde
er zu "nur" zwei Jahren Gefängnis verurteilt und hatte mehr Glück als viele
seiner anarchosyndikalistischen GenossInnen, die in den folgenden
Massenprozessen verurteilt wurden. Nach seiner Entlassung galt er als
wehrunwürdig, was ihm gerade recht kam.
Die Wehrunwürdigkeit hielt zu seinem Leidwesen nicht ewig vor. Als er 1942
heiratete, sorgte der Arbeitgeber seiner Ehefrau dafür, daß er seine
Wehrwürdigkeit wiedererhielt, damit die Ehefrau weiter in seinem
kriegsrelevanten Betrieb in Düsseldorf arbeiten konnte, anstatt zu ihrem Ehemann
nach Wuppertal zu ziehen.
Hans Schmitz gehörte nun also zur Wehrmacht. Widerstand in der Wehrmacht war
sicherlich ein schwieriges Unterfangen, jedoch im bescheidenen Maße möglich:
Neben "Feindsender" hören und "möglichst weit von der Front bleiben" gehörte für
Hans zum Widerstand und Überleben die Sabotage am Kriegsgerät. Als Helfer des
Waffenmeisters hatte er gegen Ende des Krieges Dienst an einer Flak-Batterie.
Hans sabotierte geschickt die Flak, so daß es an "seiner Batterie" nicht einen
einzigen Abschuss gab.
Beim Kriegsende befand Hans Schmitz sich in Holland. Er berichtet, daß das
Verhältnis zwischen der holländischen Bevölkerung und den einfachen Soldaten ein
durchaus gutes war. Während die HolländerInnen den Soldaten verrieten, welche
ehemaligen Kollaborateure Essen horteten, beschlagnahmten die ehemaligen
Wehrmachtssoldaten dieses und teilten es mit ihren InformantInnen.
Kaum zurückgekehrt, wurde Hans Mitglied der "Föderation Freiheitlicher
Sozialisten", der Nachfolgeorganisation der FAUD. Dort machte er die
frustrierende Erfahrung, dass die wenigen überlebenden GenossInnen oft nichts
mehr mit der Bewegung zu tun haben wollten. Viele waren körperlich und emotional
gebrochen worden und starben in den ersten Jahren nach dem Krieg. Trotzdem
machte er weiter. Direkt nach dem Krieg organisierte er in den "Hungerwintern"
einen wilden Streik, der prompt Wirkung zeigte. Es gab nun auf Firmenkosten für
jeden Arbeiter eine Stulle in der Pause und das "Recht", sich eine Heizung (in
der Werkshalle) bauen zu dürfen. Natürlich gab es auch direkt ein "Gespräch"
beim Boss, der nur eine kurze Zukunft in dem Betrieb vorher sagte. Hans blieb
bis zur Rente.
Der Zeitzeuge
Hans ist für uns mehr als nur ein alter Genosse. Sein freundliches und offenes
Wesen, seine Art, Fragen zu stellen und sein verschmitztes Lächeln haben uns von
Anfang an in Bann geschlagen. In den letzten Jahren war er in verschiedenen
Städten unterwegs, um den Film "Umsonst is dat nie" zu zeigen und hinterher mit
den meist jungen AnarchistInnen, SyndikalistInnen und AntifaschistInnen zu
diskutieren. Hans scheut sich nicht, auch über die unangenehmen Dinge seines
Lebens zu sprechen. Wenn er über Knast, Folter und Krieg berichtet, zieht sich
ihm noch immer der Hals zu, und Tränen steigen in seine Augen. Aber von Mal zu
Mal ist es ihm leichter gefallen. Und ihm zuzuhören macht dennoch Freude, denn
wenn er aus seiner Jugend berichtet, reihen sich Anekdoten aneinander. Im
Gegensatz zu so manchem „professionellen" Zeitzeugen betont Hans das Private,
das Alltägliche, spart auch nicht die Kapitel aus seiner Geschichte aus, die
heutige linke ZuhörerInnen vielleicht als Fehler interpretieren würden. Er gibt
eben keine Geschichtsstunde, nach der der Verlauf der Geschichte eindeutig ist,
sondern er berichtet aus einem gelebten Leben, das aus politischem Engagement,
Liebe und dem Versteckspiel vor dem nationalsozialistischen Regime als der
großen Wunde bestand, die es zu heilen galt. Daher ist ein solches
Zeitzeugengespräch immer schmerzhaft für den Erzählenden, aber immer auch ein
Akt des Optimismus, wenn wieder und wieder von schelmischen Streichen erzählt
wird, mit denen die Schergen der SA und SS verärgert wurden.
Aber Hans wäre nicht er selbst, wenn er nur über die alten Zeiten Berichten
würde.
Schon oft hat er von seiner schmalen Rente für gefangene GenossInnen gespendet,
oder Plakate und Veranstaltungen mitfinanziert. Bei so mancher Diskussion in der
FAU-Ortsgruppe Düsseldorf half uns seine Erfahrung weiter.
Auch in seinem hohen Alter geht Hans noch zu antifaschistischen Demonstrationen.
Nicht weil es ihm Spaß macht, da kann er sich sicher besseres vorstellen,
sondern weil er das Gefühl hat, dass es noch immer oder schon wieder notwendig
ist.
Erwähnenswert ist auch das Zeitzeugengespräch in Düsseldorf anlässlich der
Buchvorstellung seines alten, mittlerweile leider verstorbenen Freundes Helmut
Kirschey, der, einige Jahre älter, in vielerlei Hinsicht die gleichen
Erfahrungen gemacht hatte. Hans Schmitz floh zwar nach 1933 nicht aus dem
nationalsozialistischen Deutschland und war nicht aktiv am Spanischen
Bürgerkrieg beteiligt, aber beide einte ein gemeinsames anarchosyndikalistisches
Engagement in Wuppertal bis zum Naziregime. Danach trennten sich ihre Wege just
eben bis zu diesem Tage. Entsprechend fühlten sich die geneigten BesucherInnen
des Zeitzeugengesprächs vielleicht ein wenig, als würden sie als Gäste in einer
anarchistischen Muppets-Show sitzen und permanent Statler und Waldorf zuhören:
Eine Anekdote jagte die nächste, danach gemeinsames Gelächter der beiden alten
Herren, um direkt zur nächsten Anekdote zu schreiten.
Alles Gute Hans
Am 16.05.2004 wurde Hans Schmitz 90 Jahre. Zwei Tage später fand in der
Gedenkstätte „Alte Synagoge" ein Festakt für ihn statt. An der späten Würdigung
nahmen neben der FAU Düsseldorf und Münster, vielen alten FreundInnen und
Bekannten auch der stellvertretende Bürgermeister der Stadt Wuppertal teil. Der
Liberale mag sich unter den alten und jungen AnarchosyndikalistInnen etwas
seltsam vorgekommen sein.
Dieter Nelles und Uli Klan ist ein Abend mit Informationen und passendem
musikalischen Programm zu verdanken. Das letzte Wort jedoch sollte Hans Schmitz
selber haben, der kurz und bündig an jene anarchosyndikalistischen und
antifaschistischen GenossInnen erinnerte, die an diesem Abend nicht da sein
konnten.
[Als Geburtstagsüberraschung ist in der Edition Wahler zu Hans Schmitz 90-
tem Geburtstag die Broschüre „’Umsonst is dat nie.’ Widerstand- ein persönlicher
Bericht." Von Hans Schmitz erschienen. Die Broschüre mit zahlreichen Photos aus
Hans Schmitz Privatbesitz ist für 5 Euro bei Syndikat A erhältlich.]
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