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Karl Roche
Syndikalismus und Revolution
Die zweite Revolution
Vier Jahre Weltkrieg, vier Jahre Brudermord, vier Jahre Ertragen der
schimpflichesten Misshandlungen der Arbeiterklasse hatten uns die Verzweiflung
aufgezwungen.
Wir hatten den Sozialismus propagiert, den Arbeitern die syndikalistischen
Kampfeswaffen zu erklären versucht, nachdem wir inne geworden, dass die
Sozialdemokratie im Kreislauf des Parlamentarismus, die Zentralverbände im
Sumpfe des Verhandelns mit den Unternehmern unrettbar der bürgerlichen
Staatsideologie verfallen sind. Am 4. August 1914 - und dann weiter – ging uns
die neue Welt, von deren Gerechtigkeit wir nichtsdestoweniger überzeugt blieben,
in Trümmer. Den schönen Traum wollten wir mit in das Grab nehmen.
Dann kamen die wunderbaren Frühlingstage des November 1918. In Hamburg am 6., im
Reiche am 9. Die Proleten unter Waffen reckten und schüttelten sich. Zunächst
war es nur eine Revolte der „Gemeinen“ gegen ihre Peiniger: die Offiziere. Der
Militarismus frass sich selbst, nachdem er so unendlich viel verschlungen. Der
Kadavergehorsam schlug um in brandendes Freiheitsverlangen. Die Arbeiter- und
Soldatenräte kamen an die politische Macht. Ein Jauchzen ging durch die Massen.
Das Morgenrot wehrhaftiger Freiheit stieg herauf.
Jedoch nur wie ein frühes Alpenglühen vergoldete es die Firnen. In den Tälern
blieb es dunkel. Die Gesellschaft in ihren Tiefen staunte glücksuchend nach dem
verheissenden Sonnenaufstieg. Und – blieb enttäuscht. Es blieb beim
Frührotglühen, denn die Arbeiter- und Soldatenräte wussten nichts zu beginnen
mit der politischen Macht.
Nun rächte sich die sozialdemokratische Klassenkampferziehung. Der Fluch der
Irrlehre vom parlamentarischen Reden um die politische Macht legte sich wie ein
vergiftender Reif auf die junge Revolution und drohte sie zu ersticken.
Die verbürgerten Arbeiterführer schlossen sich der Bourgeoisie an und
organisierten die Gegenrevolution. Sozialdemokraten, bürgerliche Demokraten,
echte wie affektierte, riefen nach einem anderen Parlament, schufen dem
Kapitalismus eine andere Prätorianergarde, organisierten den Klassenstaat aufs
neue. Die Arbeiter- und Soldatenräte mussten tatenlos zusehen, denn die Banken,
die Fabriken, die Bergwerke, der Acker, die Lebensmittel blieben Eigentum der
Besitzenden.
Kühne Geister wollten die Revolution vorantreiben. Liebknecht, Luxemburg, Eisner
und mancher Ungenannte besiegelten ihren Idealismus mit dem Leben.
In Weimar redete man, in Berlin, in Bremen kartätschte man.
Um die sozialistischen Firnen begann das Gewölke eines gewitterdräunenden Tages
zu ziehen.
Und wirklich... und dennoch: Die Arbeiter besannen sich auf ihre wirkliche
Macht; sie griffen zum Generalstreik. In Rheinland- Westphalen, in
Mitteldeutschland hiessen sie den Rädern: stille stehen !
Heute – wir schreiben dieses am 1. März nieder – wittert die Reaktion um Ebert –
Scheidemann doch schon Morgenluft. Selbst solch ein verknöchertes Reptil wie das
„Hamburger Echo“ riecht schon den Gewitterschwefel der zweiten Revolution.
Nicht immer bewusst, aber unzweifelhaft im Grundton klingt es aus allen
Forderungen der Streitenden: den Arbeiterräten die Macht, der Allgemeinheit die
Produktionsmittel und die Produkte !
Aber auch diese Revolution wird noch nicht zum Ziele, zum Sozialisms und
Kommunismus führen. Denn die Arbeiter verstehen es noch nicht richtig, darum zu
kämpfen. Noch sind sie sich ja nicht einig, noch sind sie gespalten, noch sind
sie nicht alle recht denkende und ehrlich wollende Sozialisten, noch verbindet
sie nicht einheitlich und untrennbar das proletarische Zauberband: Solidarität.
Noch scheiden sie sich in Rechtssozialisten, Linkssozialisten, Spartakisten und
sonst was. Mit dem groben Unfug der politischen Partikularei muß die
Arbeiterklasse nun endlich aufräumen. Es ist hohe Zeit ! Die Arbeiter dürfen
sich nur als Arbeiter fühlen und als Arbeiter handeln. Ihre Sache wird in den
Parlamenten zertreten, ihre Revolution kann nur gewerkschaftlich, nicht aber mit
politischen Floskeln zum Ziele geführt werden. Die revolutionäre
Gewerkschaftsbewegung allein führt zum Sozialismus. Und im internationalen
Sprachgebrauch heisst das: Syndikalismus. Gewerkschaftliche direkte Aktion ist
Syndikalismus. Generalstreik ist Syndikalismus. Beseitigung des Kapitalismus ist
Syndikalismus.
Die Arbeiter müssen endlich erkennen, dass sie mit der Bourgeoisie zusammen
keine Demokratie bilden können. Die Bourgeoisie ist die Ausbeuterklasse. Sie ist
der Feind, ist die Klasse jenseits der Barrikade. Die Arbeiter müssen endlich
begreifen, dass der bürgerliche Staat, den Ebert- Scheidemann- Noske retten
wollen, die Zusammenfassung der Machtmittel der Ausbeuter gegen die
Ausgebeuteten bedeutet. So lange dieser Staat besteht, ist Politisieren und
Parlamentieren mit ihm vergebens. Es führt Klassenkampf und Revolution auf
Abwege.
Darum: fort mit der politischen Diffenenzierung. Politische Parteien im Rahmen
der kapitalistischen Wirtschaft können keine Sozialisierung durchführen. Sie
werden nicht den Ast absägen, auf dem sie sitzen.
Revolutionäre Gewerkschaften haben die Expropriateure zu expropriieren. Nicht in
den Parlamenten, sondern, indem sie die Arbeit verweigern. Arbeiter- oder
Betriebsräte müssen die sozialistische Leitung der Produktion übernehmen.
Die Macht den Arbeiterräten, die Arbeitsmittel und die erzeugten Güter der
Allgemeinheit. Das ist das Ziel der Arbeiterrevolution: Die revolutionäre
Gewerkschaftsbewegung ist der Weg dahin. Auf solcher wirtschaftlicher Grundlage
kann dann Arbeiterpolitik getrieben werden.
Der Sozialismus und der Syndikalismus fordern von den Arbeitern das
Natürlichste:
Arbeiterdenken, Arbeiterhandeln, Arbeitersolidarität.
Die zweite Revolution hat den rechten Weg beschritten. Aber fort mit dem groben
Unfug der politischen Absonderung !
Diogenes (Karl Roche)
aus: „Der Syndikalist“, 1. Jg. (1919), Nr. 13
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