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Rezensionen zum Buch von Helge Döhring "Damit in Bayern Frühling werde!"
Siehe die Info-Seite
zum Buch
Rezension in der Graswurzelrevolution
Rezension von M.Neagoie für
Syndikalismusforschung.info
Rezension in Contraste
Rezension von Egon Günther
Rezension von Jürgen Jenko
Damit in Bayern Frühling werde! - Ein Buch
über die anarcho-syndikalistische Bewegung in Südbayern
Buchbesprechung
Helge Döhring: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische
Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933. Verlag Edition AV, Lich/Hessen
2007, 284 S., ISBN 978-3936049-84-8, 17 Euro
Viele Bücher sind über die Intellektuellen, über die Bohemiens geschrieben
worden.
Denkwürdigerweise wurden diejenigen, welche in den Betrieben für die Ideen Erich
Mühsams oder Gustav Landauers eintraten, einfach vergessen.Bayern, von dem hier
die Rede ist, bildete dabei keine Ausnahme. Was ist dran an der Annahme, dass
sich auch in dieser Region Teile der Arbeiterbewegung nicht nur hinter
Bürokratie und Wahlurne scharten?
Und: Sollte es tatsächlich ArbeiterInnen gegeben haben, die Freiheit und
Kommunismus nicht mit den scheinradikalen Phrasen verwechselten, die unter dem
Banner von Hammer und Sichel verbreitet wurden?
Gewerkschafts- und Kulturorganisation
Der Historiker Helge Döhring ist dieser Frage nachgegangen. Und das Ergebnis
lässt sich sehen. Fundiert und kenntnisreich stellt der Autor in seinem neuen
Buch „Damit in Bayern Frühling werde!“ die anarcho-syndikalistische
Arbeiterbewegung in Südbayern vor. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD)
hat hier ihre Spuren nicht nur in Städten wie München oder Augsburg
hinterlassen, sondern auch in kleineren Städten und Dörfern.
Dabei entfaltete sie auf betrieblicher Ebene, aber noch mehr im kulturellen
Bereich rege Aktivitäten; auf die der Autor in besonderer Weise eingeht. V.a.
Sexualaufklärungs-, Freidenker- und Sängerbewegung sind hier zu nennen.
Eher mit einem Augenzwinkern reißt Helge Döhring kurz das Engagement der
GenossInnen in der Abstinenzlerbewegung an. Viel Energie verwendete die FAUD in
Südbayern auf die Errichtung eines Denkmals zu Ehren Gustav Landauers auf dem
Münchener Waldfriedhof. 1933 wurde es von den Nazis zerstört.
Staatliche Behörden versuchten über all die Jahre, die Aktivitäten der
Gewerkschaft einzuschränken oder mittels Verboten zu unterbinden. Auch in den
Betrieben der Region hatten die GewerkschafterInnen keinen leichten Stand: So
sahen sie sich in Südbayern nicht nur mit Angriffen seitens der Arbeitgeber
konfrontiert. Widersacher fanden sie mancherorts auch in den eigenen Kollegen,
die zentralistischen Gewerkschaftsorganisationen angehörten.
Zuweilen mündete der Zwist in Forderungen an den Arbeitgeber,
anarcho-syndikalistischen AktivistInnen zu kündigen.
Nötigenfalls wurde dies per Streik erzwungen.
Strittig
Interessant sind die reichsweiten Mitgliederzahlen, die der Autor, gestützt auf
Auswertungen umfangreichen Quellenmaterials, erstmals jahrgangsweise für die
FAUD und Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD) vorzulegen
vermag.
Allerdings ist in der Bewertung derselben Skepsis angebracht. Dass hier die
Meinungen der Fachwelt der letzten 30 Jahre weit auseinander gehen, erwähnt
Döhring bereits in seiner Einleitung.
Nichtsdestotrotz hat die anarcho-syndikalistische Bewegung selbst Angaben über
ihre Mitgliederstärke hinterlassen, die der Autor nicht berücksichtigt hat.
Kommen seine Zahlen für 1924 (IAA: 30.000, Döhring: 28.000) und 1926 (IAA:
22.000, Döhring: 21.000) noch denen sehr nahe, die zeitgenössische Publizität
fanden, listet der Autor für 1928 gänzlich andere auf. Unter Bezugnahme auf
einen Polizeibericht von 1927, demnach der spätere bedeutende
Anarcho-Syndikalist Helmut Rüdiger auf dem 16. FAUD- Kongress nur von 12.000
Mitgliedern gesprochen haben soll, die Döhring in seiner Auflistung übernimmt,
spricht sich der Historiker explizit gegen die jahrelang von anderen Forschern
behauptete Mitgliederstärke von 20.000 aus.
Im Folgejahr sollen es nur noch 10.000 gewesen sein, wohingegen die IAA 20.000
angibt (1).
Ein Fehler ist dem Autor im Kapitel über das Verhältnis der FAUD zur
Antirepressionsorganisation Rote Hilfe (RHD) unterlaufen: Die Internationale
Arbeiterhilfe (IAH) war nicht die Dachorganisation der internationalen
Roten-Hilfe-Organisationen, sondern eine eigenständige, ebenfalls KPD-nahe
proletarische Hilfsorganisation (2).
Würdigung
Ein besonderes Schmankerl ist Döhring mit der Zusammenstellung des Anhangs
geglückt, der eine Reihe von Personenportraits und Quellentexten für
interessierte LeserInnen bereithält.
Gustav Landauer erfährt hier besondere Würdigung.
Bekannte, aber auch leider in Vergessenheit geratene Protagonisten der
anarcho-syndikalistischen Bewegung kommen dabei nicht nur zu Wort, sondern
werden auch kurz selbst vorgestellt. Darunter: Fritz Oerter, gewaltfreier
Anarcho-Syndikalist, der einen nicht unerheblichen Einfluss in der damaligen
Bewegung hatte.
Das Buch besticht zudem durch eine Vielzahl von Abbildungen, v.a. aber durch
Döhrings flüssigen Schreibstil, der dafür sorgt, dass man es erst am Ende wieder
aus der Hand legen will.
Fazit: Nach seinen regionalgeschichtlichen Veröffentlichungen zu Ostpreußen (FAU-Bremen,
2006) und Württemberg (Verlag Edition AV, 2006) ist es dem Autor gelungen, einen
weiteren weißen Fleck von der Landkarte zu tilgen und die eigene Geschichte für
die heutige anarchosyndikalistische Bewegung zu erschließen.
Heiko Grau-Maiwald
Anmerkungen
(1) H. Döhring: Damit in Bayern Frühling werde!, S. 179 (Fußnote 14) und S. 201
ff. Vgl. dazu die Angaben des damaligen IAA-Sekretärs in: Lewis L. Lorwin, Die
Internationale der Arbeit. Geschichte und Ausblick. Deutsche Ausgabe von Labour
and Internationalism. Verlag des Institute of Economics Washington D.C., Berlin
1930, S. 227. IAA: Internationale Arbeiter Assoziation, anarchosyndikalistische
Internationale, in der die FAUD Mitglied war.
(2) Döhring, S. 127. Dachorganisation der RH- Organisation war in Wirklichkeit
die Internationale Rote Hilfe (IRH; russisch MOPR). Die IAH wurde 1921 auf
Initiative von Willi Münzenberg, des späteren Medienmoguls der KPD, als
internationale proletarische Hilfsorganisation gegründet. Ab 1924 wurde sie zur
festen zentralisierten Mitgliederorganisation aufgebaut. Ihre Hauptaufgaben
bestanden darin, bei Streiks durch Geldsammlungen, Einrichtung von Küchen,
Erholungsaufenthalte für Arbeiterkinder u.ä. solidarische Hilfe zu leisten.
Durch Spendensammlungen konnten den in Not geratenen ArbeiterInnen in solchen
Fällen Kleidung, Lebensmittel und Geld zur Verfügung gestellt werden. Die IAH
unterhielt ferner eine rege filmische Propaganda.
erschienen in "Graswurzelrevolution Nr. 325 - Januar 2008"
Damit in Bayern Frühling werde
Buchbesprechung: Helge Döhring zur syndikalistischen Arbeiterbewegung in
Südbayern 1914 bis 1933
Wer sich für die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus interessiert, dem ist in
den letzten Jahren sicherlich der Name Helge Döhring geläufig geworden. Der
Bremer Anarchosyndikalist und Historiker veröffentlichte in kurzen Abständen
mehrere Beiträge zur Geschichte dieser revolutionären Arbeiterbewegung in
verschiedenen Regionen Deutschlands sowie zu verschiedenen Fachfragen. Neben
zusammenfassenden Regionalstudien – zuletzt zum Anarcho-Syndikalismus in
Ostpreußen und Baden - publizierte er 2006 ein Standartwerk zu Württemberg. Nun
hat Helge Döhring eine weitere Lücke geschlossen. Soeben erschien sein Buch
„Damit in Bayern Frühling werde – Die syndikalistische Arbeiterbewegung in
Südbayern“. Eine grundsolide Arbeit über die anarcho-syndikalistische
Arbeiterbewegung zwischen 1914 bis 1933.
Denkt man an Bayern, denkt man heute wie damals an finstere Reaktion,
Obrigkeitsstaat und Klerus. Aufgeklärte Zeitgenossen wissen von der Existenz der
Münchner Räterepublik und ihren anarchistischen Protagonisten Gustav Landauer
und Erich Mühsam. Veröffentlichungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung in
Bayern haben nahezu ausschließlich die Aktivitäten der sozialdemokratischen-
oder kommunistischen Partei zum Inhalt. Über die wirklich
freiheitlich-emanzipatorische Arbeiterbewegung wurde hinweggesehen oder aber das
Interesse, über diese selbst organisierte Bewegung zu Berichten, war nicht
vorhanden.
Helge Döhring fasst dies in seiner Einleitung treffend zusammen: „Wenn für
Bayern von revolutionärer Arbeiterbewegung die Rede ist, dann richtet sich der
Scheinwerfer im Allgemeinen auf die Revolution von 1918/19 und auf die
Räterepublik. Viele Bücher sind über die Intellektuellen, über die Bohemiens
geschrieben worden. Denkwürdigerweise wurden diejenigen, welche in den Betrieben
für die Ideen Mühsams oder Landauers eintraten, einfach vergessen. Die
Begrifflichkeit des Anarchismus anstelle des Syndikalismus nimmt über 90 Prozent
der Geschichte der freiheitlich-emanzipatorischen Bewegung Südbayerns ein. Das
verdreht die historischen Tatsachen. Das Buch soll einen Beitrag dazu leisten,
diese Schieflage in Forschung wie Publizität auszugleichen.“
Dazu finden sich zusammengefasst in neun Kapiteln zahlreiche Belege. Und um es
vorweg zu sagen: Diesem Anspruch wird das Buch gerecht.
Die Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD)
Erfreulicherweise wurden in den letzten Jahren eine
ganze Reihe von Regionalstudien zur Geschichte, Zusammensetzung und Aktivität
der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD)
veröffentlicht. Zu ihren Höchstzeiten erlangte die FAUD eine Organisationsstärke
von 150.000 Mitgliedern, wie Döhring im Anhang „FAUD im Überblick“ errechnet.
Ihr auflagenstärkstes Organ „Der Syndikalist“, erschien über mehrere Jahre
wöchentlich. Im Gegensatz zu den zentralistischen Organisationen und
Gewerkschaften organisieren sich anarchosyndikalistische Gewerkschafter
basisdemokratisch. Jede Gewerkschaft und lokale Gruppe entscheidet selbst
bestimmt über die Durchführung von (Arbeits-)Kampfmaßnahmen und ihre Formen.
Anarcho-Syndikalisten sind antikapitalistisch. Ausbeutung durch Lohnarbeit soll
beendet werden und die Betriebe selbst verwaltet sowie nach Gesichtspunkten des
gesellschaftlichen Bedarfs von den Arbeiterinnen und Arbeitern übernommen
werden. Statt Reichtum für wenige Kapitalisten soll materieller Wohlstand und
politische Gleichheit für Alle das bestimmende Prinzip der angestrebten freien
Gesellschaft sein.
Herrschaft und Staat werden als Unterdrückungsinstrumente zurückgewiesen. Einer
der geistigen Vordenker und Aktivisten des internationalen
Anarcho-Syndikalismus, Rudolf Rocker, fasste dies in dem Satz „Der Sozialismus
wird frei sein, oder er wird nicht sein“ zusammen. Eine klare Absage an
autoritäre Gesellschaftsmodelle wie den "bürgerlichen Staat“ oder die „Diktatur
des Proletariats“.
Kein Wunder, dass Anarcho-Syndikalisten zu den ersten und schärfsten Kritikern
der Sowjetunion zählten.
Gerade diese lebendige föderalistische Struktur macht es Notwendig, dass an die
Geschichte der Bewegung vielfältig herangegangen wird. Anders als bei den
zentralistischen Organisationen, in denen aller meistens nach Schema F
vorgegangen wird, und die Zentrale den Gruppen vor Ort Weisungen über die
Gestaltung ihrer Arbeit erteilt, ist der Aufbau und die Aktivität bei den
Anarcho-Syndikalisten immer Resultat der eigenen Lebenssituation. Sie ist die
Grundlage der Aktivität. Alle Impulse kommen von unten aus den konkreten
Bedürfnissen. Dies ist der Grund, warum die FAUD in unterschiedlichen Regionen
unterschiedliche Aktivitäten und Strukturen entwickelte. Regionalstudien sind
genau deshalb so wesentlich, um einen zusammenfassenden Gesamtüberblick zu
erhalten. Döhring: „Unterschiede ergeben sich beispielsweise in der Ausprägung
der Wirtschaftsräume wie auch in der Sozialstruktur. Im kulturellen Bereich
waren die Anarcho-Syndikalisten schwerpunktmäßig in verschiedenen Bereichen
aktiv. Hatte ich mich bei meinen Forschungen zum Syndikalismus in Württemberg
beispielsweise verstärkt der Büchergildenbewegung zugewandt, und im Hinblick der
Bewegung in Ostpreußen vornehmlich die syndikalistisch-anarchistische
Jugendbewegung betrachtet, so treffe ich für Südbayern auf die
Sexualaufklärungs- und Sängerbewegung, die ich in den vorgenannten Studien
mangels Masse nicht aufgreifen konnte. Auf diese Weise wächst im Detail der
Durchblick und auf der Makroebene der Weitblick für den Forschungsgegenstand
Anarcho-Syndikalismus.“
Was war in Südbayern?
Anhand der wachsenden Industrialisierung im 19. Jahrhundert zeichnet Helge
Döhring die Entwicklung der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Südbayern
nach. Die 1897 gegründete „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVdG),
die Vorgängerorganisation der FAUD, fasste dort zuerst in München Fuß. In einem
einleitenden Kapitel berichtet er über die Anfänge dieser aus der
Sozialdemokratie hervorgegangen Gewerkschaft und ihre Aktivitäten in München und
nach 1918 auch in Rosenheim und Augsburg. München blieb jedoch bis 1933
durchgehend der organisatorische Schwerpunkt. Vor dem 1. Weltkrieg vereinigte
die FVdG dort etwa 200 Mitglieder. Nach dem Krieg wuchs die Bewegung auf ca.
1000 Mitglieder an. Größten Anteil hatten die Fliesenleger. Eigenständige
Berufsorganisationen bildeten weiterhin die „Isolierer und Steinholzleger“, die
Maurer, die Betonarbeiter, Metallarbeiter und Tischler/Holzarbeiter. Der 1.
Weltkrieg brachte Zensur und eine starke Einschränkung der
Organisationstätigkeit. Zahlreiche Mitglieder wurden Opfer des Krieges. Die FVdG
unterstützte nach Kräften die Familien der Hinterbliebenen und war bemüht die
Organisation aufrecht zu erhalten.
Als vom 09. November 1918 von Kiel ausgehend die
Revolution auch in Bayern losbrach, verhielten sich die Syndikalisten ihr
gegenüber zurückhaltend. Diese Zurückhaltung führt Döhring auf den starken
politischen Charakter der Revolution zurück. Das Revolutionsverständnis war ein
anderes. Nicht die Eroberung der politischen Macht war das Ziel; Den
Syndikalisten ging es vornehmlich um die wirtschaftliche – soziale – Revolution.
Dennoch unterstützen und begleiteten sie die Revolution solidarisch. Das
FAUD-Organ „Der Syndikalist“ verbreitete die „Erklärung des Bayerischen
Zentralrates der Räterepublik“ vom 07. April 1919. Und der Fürther
Anarchosyndikalist Fritz Oerter berichtete regelmäßig über den Verlauf der
Revolution, welche schließlich mit brutalsten Methoden durch Militär und
Freikorps niedergeschlagen wurde. Zahlreiche Arbeiter wurden erschossen. Der
Anarchist und Pazifist Gustav Landauer von Soldaten totgetreten. Döhring lässt
Fritz Oerter im Buch zu Wort kommen, welcher die Lehren aus der Revolution wie
folgt zusammenfasst: „Solange die Arbeiter nicht endlich anfangen, selber
nachzudenken und selber zu handeln, solange sie nicht begreifen, dass kein
Mensch und kein Führer sie befreit, wenn sie sich nicht selber zur
revolutionären Tat aufraffen und geeint durch Solidarität die alten und neuen
Autoritäten stürzen, um für den Aufbau des Sozialismus Platz zu bekommen,
solange wird die Reaktion in- und außerhalb Bayerns noch manche Mordtat
vollbringen und noch viele gute Tage haben.“
Zu den Solidaritätsaktionen der FAUD gehörte die materielle Unterstützung der
aufgrund der Revolution inhaftierten Genossen und ihrer Familien. Der Aufgrund
seiner Tätigkeit in der Räterepublik 1922 noch immer im Kerker sitzende Erich
Mühsam wurde von den Münchner Syndikalisten mit Lebensmitteln versorgt.
Dokumentiert und anschaulich dargestellt werden weiterhin die
Unterstützungsleistungen für die Kämpfenden gegen den reaktionären Militärputsch
um den Oberst Kapp. An der Niederschlagung dieses Putsches und der damit
einhergehenden revolutionären Welle – vor allem im Ruhrgebiet und Vogtland –
beteiligten sich auch zahlreiche Syndikalisten.
Ausführlich werden die lokalen Gewerkschaftsgruppen der FAUD vorgestellt. Mit
detaillierten Angaben zu Treffpunkten, Vorsitzenden und Mitgliederstärke und
Aktivitäten ersteht ein lebendiges Bild. Über Strategiediskussionen und
Arbeitskämpfe wird berichtet. In einem Extrakapitel wird das Konzept der
„Arbeitsbörsen“ in der Praxis vorgestellt. Diese können als ein Herzstück der
organisierten Solidarität und gebündelter Kampfkraft verstanden werden.
Revolutionäre Gewerkschaft im Fadenkreuz des ADGB
Wie bereits in anderen Forschungen zum Anarcho-Syndikalismus in Deutschland,
dokumentiert Helge Döhring auch in diesem Buch den ausgeprägten Willen des
reformistisch und sozialdemokratisch dominierten Allgemeinen Deutschen
Gewerkschafts Bundes (ADGB) konkurrierende Gewerkschaften auszuschalten.
Besonders die von den Arbeitern selbst organisierte Gewerkschaft FAUD mit ihrem
revolutionären, antikapitalistischen und basisdemokratischen Grundverständnis
galt als Feind.
In München kam es so am 17. August 1920 zu einem vom
ADGB ausgerufenen Streik im Baugewerbe. Ziel war nicht etwa die Durchsetzung
besserer Arbeitsbedingungen oder höherer Löhne. Ziel war die Entlassung von
Mitgliedern der syndikalistischen Bauarbeiterföderation. Diese war in München
betrieblich verankert und stellte eine ernstzunehmende Konkurrenz für den ADGB
dar. Hier erreichte der ADGB die Entlassung der Syndikalisten. Auch in anderen
Orten sind solche Angriffe auf die Anarcho-Syndikalisten bekannt geworden. Helge
Döhring erklärt: „Die Zentralgewerkschaften waren besonders in der ersten Hälfte
der 20er Jahre um Abgänge ihrer Mitglieder zu revolutionär-syndikalistischen,
unionistischen oder anarcho-syndikalistischen Organisationen besorgt. So gab
kein anderer als der ADGB Vorsitzende Karl Legien „zur Bekämpfung der
gegnerischen Gewerkschaften“ die Herausgabe der Broschüre von Paul Umbreit „Die
gegnerischen Gewerkschaften in Deutschland“ bekannt…“.
Über den Betrieb hinaus
In dem darauf folgenden Kapitel „Bewegung außerhalb der Betriebe“ werden die
umfassenden gesellschaftlichen Aktivitäten der Anarcho-Syndikalisten Südbayerns
vorgestellt. Leidenschaft und Engagement flossen in Anti-Alkohol-Kampagnen, in
die gegen die Macht der Kirche gerichtete Freidenkerbewegung und führt zur
„Syndikalistisch-Anarchistischen Jugend Deutschlands“ (SAJD). Neben einer
grundsätzlichen Vorstellung dieser Jugendorganisation wird über die Münchner
Gruppe informiert. Daran anschließend berichtet Döhring über den
„Syndikalistischen Frauenbund“ (SFB) und den von ihm gefunden Spuren dieser
Frauenorganisation in München. Weitere Bereiche in denen Anarcho-Syndikalisten
tätig waren, waren die „freien Kindergruppen“ und die „Freie Sängerbewegung“.
Diese werden genauso vorgestellt wie der „Verein für Sexualhygiene und
Lebensreform“ (VSL) und der „Reichsverband für Geburtenregelung und
Sexualhygiene“ (RV). In diesen Verbänden waren Anarcho-Syndikalisten in
maßgeblichen Funktionen aktiv und nahmen auch Geld- und Gefängnisstrafen für
ihre aufklärerischen und helfenden Aktivitäten in Kauf. Hervorheben möchte ich
den Bericht über den „Internationalen Bund der Opfer des Krieges und der Arbeit“
(IBOKA). Dieser zeigt anschaulich den Lohnarbeitsbegriff der
Anarcho-Syndikalisten auf.
Döhring führt aus: „Bemerkenswert ist, dass in diesem Organisationsnamen die
Opfer von Krieg und Lohnarbeit auf eine Stufe gesetzt wurden. Frei nach dem
Georg Büchner Zitat „Unser Leben ist der Mord durch Arbeit“ wurden
beispielsweise Grubenunglücke im „Syndikalist“ immer wieder als Mordtat der
Kapitalisten gegenüber dem Proletariat angesehen.“
Berichtet wird über die Geldsammlung für die Errichtung eines Denkmales für den
ermordeten Gustav Landauer auf dem Münchner Südfriedhof. Dokumentiert werden
Aufruf und Geschichte dieses Denkmals welches dann 1933 von den Nazis zerstört
wurde. Das Verhältnis von FAUD und der KPD-dominierten
Gefangenenhilfsorganisation „Rote Hilfe“ und die Rolle Erich Mühsams darin ist
Gegenstand eines weiteren Kapitels. Genauso wie der „Anarchistische Verein
Münchens“. Die Unterschiede und Spannungen zwischen den Anarcho-Syndikalisten
und Anarchisten tauchen in mehreren Kapitalen anhand konkreter Beispiele auf.
Schließlich werden noch die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands und die
Allgemeine Arbeiter Union vorgestellt sowie ihre Beziehung zu den Syndikalisten.
Im Kampf für die Emanzipation von Augsburg bis Trostberg
Helge Döhring folgte den Spuren des Anarcho-Syndikalismus auch in andere Städte
und förderte auch dort greifbares zu Tage. Namen, Aktivitäten und Berichte über
den sozialen und politischen Kampf. Detaillierte Beschreibungen finden sich zur
FAUD in Augsburg. Dort bestand schon vor dem 1. Weltkrieg eine Gruppe.
Eigenständige Berufsgruppen bildeten Textil- und Metallarbeiter. In dem
Kriegsinvaliden Johann Blöchl hatte die FAUD einen außerordentlich aktiven
Kämpfer. Als Berichterstatter an den „Syndikalist“ ist es ihm zu verdanken dass
wir uns heute noch ein lebendiges Bild über die Zustände in Augsburg machen
können. Er berichtete so über Aktionen für einen Wahlboykott im Jahr 1930, griff
die „feinen Herrschaften“ und ihre Verlogenheit an und las auch der Kirche
gehörig die Leviten. Seine im Buch auszugsweise wiedergegebenen Berichte
sprechen die schonungslose Sprache der bis ins letzte durchschauten Bosheit und
Verlogenheit der Herrschenden.
Städteberichte finden sich des weiteren zu Dachau, wo seit 1923 ein Ortsverband
der FAUD bestand, zu Erding (Ortsverband ab 1924) und Moosburg (seit 1920).
Besonders interessant ist das Kapitel zu den kleinen Dörfern Ostschwabens um
Pappenheim. Hier wuchs die FAUD aufgrund von Vorträgen des FAUD Agitators Hans
Ramsteck. Und gerade hier wird auch deutlich, wie personenabhängig eine Bewegung
sein kann, und dass mit dem Verschwinden eines Hauptakteurs die Organisation oft
nicht aufrechtzuerhalten ist.
Ein ausführliches Kapitel findet sich auch zu Trostberg. Trostberg ist Standort
der chemischen Industrie (Degussa). Seit 1920 gab es dort einen Ortsverein der
FAUD. Wie unterschiedlich mit „Geschichte“ umgegangen werden kann zeigt der
Autor anhand dieser Fabrik auf. Die „Bayerische Stickstoffwerke AG“ – heute
Degussa – war aktiv in die Nazi-Verbrechen verwickelt.„Ein Historiker wird
bezahlt, um Unternehmensgeschichte zu schreiben. ..Im Auftrage der ‚Degussa’
wird die Firmengeschichte während der NS-Zeit in den Mittelpunkt gerückt und
professionell aufgearbeitet, um sich der Öffentlichkeit aufgeklärt und
demokratisch präsentieren zu können. Als wäre die Nazizeit der einzige Ausdruck
menschenunwürdiger Bedingungen unter kapitalistischer Herrschaft. So aber soll
es womöglich dargestellt werden. Die Geschichte der Arbeiter wird nicht
geschrieben. Sie sollen im Dunkeln bleiben, ihre Leiden und Sorgen vor der
Geschichte verschwiegen werden. Menschenverachtung äußerte sich jedoch nicht nur
im NS-System. Sie zeigt sich in einem kapitalistischen System zu jeder Zeit den
Arbeitern gegenüber. Menschen zählen hier nur in ihrer Funktion als
Arbeitskraft. Die Wirtschaft ist nicht für den Menschen da, sondern der Mensch
für die Wirtschaft, die ihm das Leben in Lohnarbeit diktiert. Dies ist zu jeder
Zeit ein Verbrechen, auch ohne Lager und Hakenkreuz! Es nennt sich ‚freie
Lohnarbeit’. Ich lasse im folgenden diejenigen zu Wort kommen, die bei der
‚Bayerischen Stickstoffwerke AG’ diesen Verhältnissen ausgesetzt wurden, und
sich ihnen in den Weg stellten:“
So berichtet Döhring über seit Jahren nicht gereinigte Umkleideräume für die
Arbeiter und die lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen. Auch über einen
Generalstreik im Jahre 1921 wird berichtet und den schwierigen Kampf der FAUD
vor Ort.
Portraits und Schlußfolgerungen
Vorgestellt werden weiterhin der international bekannte aktive FAUD-Funktionär
und Theoretiker Helmut Rüdiger aus München und besonders liebevoll: Benno
Scharmanski. Anarchist, FAUD-Mitglied, Freier Sänger und auch nach 1945 wieder
aktiv in der FAUD Nachfolgeorganisation „Föderation Freiheitlicher Sozialisten“
(FSS). Helge Döhring hat ein lebendiges und würdevolles Bild dieses Menschen
gezeichnet.
In den Kernergebnissen zu seiner Untersuchung stellt er die soziologische
Zusammensetzung der südbayrischen FAUD vor. Daraus ist eine ansehnliche Liste
der Aktiven entstanden, die sich auch hervorragend zu weiteren Nachforschungen
eignet. Umfangreiches Zahlenmaterial zur Organisation der FAUD vor Ort rundet
die Untersuchung ab. Schwerpunkt seiner zusammenfassenden Ausführungen ist aber
die Erörterung der Gründe für Mitgliederverlust und sinkenden Einfluss. Als
Fazit benennt er jedoch nicht nur ökonomische Faktoren wie Erwerbslosigkeit und
Armut sowie die Konkurrenz des ADGB. Auch „Ehrgefühl“ und
„Begeisterungsfähigkeit“ gehörten zu den Rahmenbedingungen der Bewegung. Denn:
„Der Anarcho-Syndikalismus speist sich aus beidem, ohne die materialistische
gegen die ideelle Komponente auszuspielen. Im elastischen Zusammenwirken beider
erst entsteht jene gesellschaftliche Dynamik, die es vermag, eine freie
Gesellschaft im Sinne anarcho-syndikalistischer Vorstellungen aufzubauen.“
Als Zugabe finden sich Berichte der Zeitzeugen Victor Fraenkl, Fritz Oerter,
Helmut Rüdiger und Erich Mühsam über Gustav Landauer. Eine Analyse Augustin
Souchys zu „Erfahrungen aus erlebten Revolutionen des 20. Jahrhunderts“ folgt
und wird mit dem Auszug eines Interviews mit Souchy über Landauer vertieft.
Anschließend finden sich biographische Anmerkungen über die soeben genannten.
Abgerundet wird das Buch durch ein sehr lesenswertes Nachwort des Münchner
Arbeiterbewegungsforschers Günter Gerstenberg. Dessen erfrischender Beitrag über
die Geschichte und Kultur Bayerns erschließt die verschiedenen Welten, die sich
in Bayern feindselig gegenüberstehen. Vor dem geistigen Auge erscheinen
schließlich drei anarchistische Weggefährten aus München: Augustin Souchy, die
Spanienkämpferin Martha Wüstemann und Benno Scharmanski. Gerstenberg berichtet
über Begegnungen mit ihnen und fragt am Ende seines Beitrages nach neuen
Strategien im Kampf für eine freie Gesellschaft.
Im Anhang finden sich weiterhin historische Grundsatztexte, von deren Klarheit
und Deutlichkeit man auch heute noch viele Anregungen entnehmen kann. So das
„Organisationsstatut der FAUD“, die „Aufgaben des syndikalistischen
Frauenbundes“ (1924) und die „organisatorischen Leitsätze der SAJD“ von 1923.
Ein ausführliches Personen-, Organisations- und Orts- Register und eine
umfangreiche Literaturliste schließen das ansprechend gestaltete und mit
zahlreichen Fotos und Faksimile Abbildungen revolutionärer Zeitungen und
Flugblätter versehene, rundum empfehlenswerte Buch ab. Nach „Syndikalismus im
Ländle“ liegt mit „Damit in Bayern Frühling werde“ ein weiteres Quellenwerk zur
Geschichte des Syndikalismus in Buchform vor. Es zeigt als Schlussfolgerungen
viele Überlegungen auf die sich rund um die Frage: Wie kann die
anarcho-syndikalistische Bewegung stärker werden und was schwächt und bekämpft
sie“ zentrieren. Ein Buch mit dem man arbeiten kann. Geschichte von unten zum
Anfassen und zur heutigen Anwendung.
M. Neagoie, 3. November 2007
Hans Jürgen Degen: Syndikalismus in Bayern
Der selbstorganisierten Arbeiterbewegung in Deutschland hat die
Geschichtsschreibung wenig Raum eingeräumt. So ist es auch der syndikalistischen
Bewegung ergangen. Helge Döhring hat mit einigen regionalgeschichtlichen Studien
zu dieser Variante der Arbeiterbewegung wertvolle Beiträge geliefert. Er hat
diese selbstbestimmte Gewerkschaftsbewegung aus der Vergessenheit gezogen. So
auch mit der vorliegenden (bisher) letzten Studie über den Syndikalismus in
Südbayern.
Gegen die Geschichtslosigkeit, gegen den Mythos, dass ‚Einzelne’ nichts gegen
die herrschenden Verhältnisse bewirken können, stand die marginale
anarcho-syndikalistische ‚Freie Arbeiter-Union Deutschlands’ (FAUD). ‚Einzelne’
deshalb, wie Döhring auch aufzeigt, weil sich diese, die vielen ‚Einzelnen’, in
dieser Bewegung mit ihren individuellen Anliegen einbringen konnten. Das trotz
des auch hier unvermeidlichen ‚natürlichen’ Oligarchisierungsprozesses. Dies
hauptsächlich deshalb, weil die libertäre Bewusstseinshaltung der Mitglieder
geradezu (nicht nur in ihren Organisationsstatuten) den ‚Pluralismus’
verinnerlicht hatte. Ausdruck davon war u.a. die Vielfalt der Unter- und
Nebenorganisationen der FAUD, die buchstäblich versuchten, ihre Autonomie zu
behaupten und zu leben. In einer ‚Massenorganisation’ ist das schlicht
unmöglich. Stellt sich die Frage: Ist es das Schicksal, eine ‚elitäre’
Minderheitsbewegung zu bleiben? Döhring beantwortet diese Grundsatzfrage nicht,
weil seine Arbeit historisch angelegt ist. Aber mit seiner Detailversessenheit
belegt er überzeugend Ausmaß und Beschränkung des historischen
Anarchosyndikalismus in der Metropole Bayerns und in der südbayerischen Provinz.
Der organisatorische Versuch, eine ‚andere’ Arbeiterbewegung den parteipolitisch
ausgerichteten (von SPD und KPD dominierten) und den ‚gelben’ Gewerkschaften
entgegenzusetzen, trat in verschiedenen Formen auf: den ‚reinen’ Gewerkschaft
FAUD, dem ‚Syndikalistischen Frauenbund’, der ‚Syndikalistisch-Anarchistischen
Jugend Deutschlands’; auf ‚kulturellem Gebiet: die Freien Sänger’, ‚Verein für
Sexualhygiene und Lebensreform’, ‚Gemeinschaft proletarischer Freidenker’ u.a.m.;
ferner: Mitarbeit und starke Einflussnahme in anderen politischen und
kulturellen linken Organisationen.
Der nachhaltige Einfluß des Anarchosyndikalismus konnte von Döhring selbstredend
nicht nachvollzogen werden. Mit Verbot und Verfolgung 1933 durch das Naziregime
ist dies Experiment einer antistaatlichen Basisgewerkschaft beseitigt worden;
ein originäres kulturproletarisches Milieu wurde unwiederbringlich zerstört. Die
massive Verfolgung, die Zuchthäuser, Konzentrationslager und auch der hohe
Blutzoll der anarchosyndikalistischen Bewegung, ließ u.a. nach 1945 den
Anarchosyndikalismus nicht mehr in seiner traditionellen Form als eigenständige
Gewerkschaft erstehen.
Döhring legt eine Organisationsstudie vor. Sie zeigt die organisatorischen
Verästelungen auf, die einer nichtdogmatischen ‚Bewegung’ selbstverständlich
(sind). Daraus ergibt sich für den Historiker allerdings die Schwierigkeit,
diesen Verästelungen nachzugehen. Döhring hat dies – trotz prekärer Quellenlage
– souverän und akribisch geleistet: Er kann die organisatorischen und
personellen Verflechtungen innerorganisatorisch, auf kulturellem Gebiet und
darüber hinaus mit der undogmatischen Linken aufzeigen und belegen.
Es ist die Absicht Döhrings, die weitgehend autonom handelnden Individuen in und
durch ihre Gewerkschaft vorzuführen: zu zeigen, dass auch ‚Massen’organisationen
von der Basis her bestimmt werden können. Mit seiner historischen Studie ist ihm
das gelungen.
Döhring, Helge: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische
Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Verlag Edition AV, Lich/Hessen
2007, 17 EUR
Aus: Contraste, November 2008, S. 14.
Egon Günther
Helge Döhring, Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische
Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Lich/Hessen: Verlag Edition AV,
2007, 276 S.
„(…) Helge Döhring unternimmt den Versuch, die von ihm konstatierte
Schieflage auszugleichen, die darin besteht, dass bislang in Publizität und
Forschung den prominenten Ideenträgern des reinen Anarchismus wie Gustav
Landauer und Erich Mühsam und ihrem Wirken in Bayern mehr Stellenwert zukam als
denjenigen, die deren freiheitliche Ideen und föderalistischen Vorschläge in den
Betrieben und im Aufbau von Arbeiterbörsen vertreten haben. Sein Material fand
er, unterstützt von den Mitgliedern des „Allgemeinen Münchner Syndikats der
Erwerbslosen und Lohnabhängigen“ (A.M.S.E.L.) und der Münchner „Freien
Arbeiterunion“ (FAU), den heutigen Nachfolgern der damaligen Lokalisten und
Syndikalisten, bei der Durchsicht von Archivbeständen in Augsburg, Dachau,
Moosburg, Erding, Trostberg und München sowie in Kongreßprotokollen und
Drucksachen der syndikalistischen Arbeiterbewegung. Helge Döhring ist selbst in
dieser Bewegung aktiv, deshalb ist sein Buch parteiisch und gibt nicht vor,
Forschung und Bewegung trennen zu wollen, wie es die Verfechter akademischer
wissenschaftlicher Standards einfordern, die von einem scheinbar objektiven
Erkenntnisinteresse ausgehen. Bereits Ulrich Linse hatte festgestellt, dass der
Münchner Arbeiteranarchismus nicht politisch, sondern primär gewerkschaftlich
eingestellt war, und er sah darin einen Grund, warum die Syndikalisten bei der
Novemberrevolution und in den Geschehnissen der bairischen Räterepublik
angeblich kaum eine Rolle gespielt haben. Dennoch wurden bei der blutigen
Repression der kommunistischen Räterepublik im Mai auch Mitglieder der
„Syndikalistischen Arbeiterföderation“ (SAF) von den Nosketruppen ermordet, und
die Münchner Arbeiterbörse führte Sammlungen zur Solidarität mit den verhafteten
Räteanhängern und den Opfern der Märzkämpfe im Ruhrgebiet durch. Die vorliegende
Regionalstudie geht dem nach und beschreibt die Organisationsstruktur dieser
freiheitlichen Strömung der Arbeiterbewegung, die ihren Zusammenhalt in den
Jahren nach dem Ersten Weltkrieg gegen die zentralistischen Organisationsformen
zwar anfangs behaupten konnte, aber in den letzten Jahren der Weimarer Republik
dahin geschmolzen ist. Zudem wird auf die außerbetrieblichen und kulturellen
Aktivitäten der südbayerischen Syndikalisten, die sich zum großen Teil in der
anarchosyndikalistischen FAUD organisiert hatten, anhand erhaltener Nachweise
über ihre durchgeführten Veranstaltungen eingegangen: Freidenkertum,
syndikalistische Jugend- und Frauenbünde, Freie Sänger usf. werden angesprochen.
Einen besonderen Platz nimmt das Porträt des Schreiners und Anarchisten Benno
Scharmanski ein, der in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg der „Föderation
Freiheitlicher Sozialisten (FFS)“ angehörte und noch bis in die neunziger Jahre
hinein jüngeren Genossen mit Rat und Tat zur Seite stand. Auch der Sekretär der
„Internationalen Arbeiter Assoziation“ und Theoretiker des Anarchosyndikalismus,
Helmut Rüdiger, wird eigens vorgestellt. Seine „Karriere“ begann in München als
Delegierter der Ortsvereine Dachau, München und Trostberg für den 16.
FAUD-Kongreß. Zusammenfassende Überlegungen, warum die „originäre proletarische
Klassenbewegung“ der Syndikalisten mitunter auch in ländlichen Regionen bei der
neu geformten Industriearbeiterschaft, beispielsweise den Chemiearbeitern in
Trostberg oder den Arbeitern im Solnhofener Steinbruch, gegenüber den
zentralistischen Verbänden punkten konnte, und worin die eigentliche Stärke des
Syndikalismus besteht, beschließen den mit einem materialreichen Anhang
versehenen Band, zu dem Günther Gerstenberg ein fulminantes Nachwort
beigesteuert hat. Beiläufig formuliert es interessante durch das Buch
aufgeworfene Fragen nach der Konjunktur des Anarchosyndikalismus, deren
Beantwortung vielleicht das Warten auf den Frühling ein wenig kurzweiliger
macht: Warum wurde die anarchosyndikalistische Bewegung in Bayern – und wohl
auch im übrigen Deutschland – trotz aller Verve, Begeisterung und trotz der
vielen Anstrengungen und Opfer ab Mitte der zwanziger Jahre dennoch zu einer
Marginalie? Und wo stehen die heute an einer freiheitlich orientierten Bewegung
zur Aufhebung der Lohnarbeit Interessierten in einer seither durch und durch
umgebildeten Arbeitswelt, in der, die Positionen der Aufklärung vereinnahmend,
der Kapitalismus auf Subjekte setzt, die zwar selbständig und flexibel handeln,
sich aber dabei mit den Verhältnissen im Einklang befinden sollen?
Aus: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit (AGWA), Nr. 18,
Fernwald 2008
Jürgen Jenko in: Mitteilungsblatt des
Instituts für soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum
Die syndikalistische Bewegung in der „Ordnungszelle“ des Reichs
Helge Döhring: Damit in Bayern Frühling werde! Die syndikalistische
Arbeiterbewegung in Südbayern von 1914 bis 1933, Lich/Hessen: Verlag Edition AV
2007, 282 Seiten, 17.00 Euro
Nachdem das Phänomen des Syndikalismus, seines Aufstiegs und Niedergangs, in der
Geschichtsforschung lange Zeit primär auf makroökonomische Entwicklungen,
insbesondere auf Anpassungsprobleme an die wirtschaftliche und soziale
Modernisierung zurückgeführt wurde, werden zur Erklärung inzwischen auch die
umfassenderen gesellschaftlichen und existentiellen Interessen der Arbeiter in
den Blick genommen, „nach dem Aufbau der lokalen Gesellschaft […] und nach dem
Raum [gefragt], den sich die Arbeiter in ihr schaffen konnten“. Als eine
dezentral aufgebaute Bewegung, für deren Mitglieder die örtliche Bindung und
Dimension von besonderer Bedeutung waren, verlangt nämlich gerade der
Syndikalismus nach einer lokalhistorischen Untersuchung. (1) Dementsprechend
haben vor allem in den letzten Jahren erschienene Studien und Aufsätze über
einzelne Ortsgruppe der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) Ursprünge und
Entwicklung des deutschen Syndikalismus weiter erhellt und zusätzliche
Einsichten bezüglich dessen ideologischer Basis, Organisationssoziologie und
sozialer Struktur erbracht.
Helge Döhring, aus dessen Feder bereits Werke über die syndikalistische Bewegung
in Ostpreußen, Südbaden und Württemberg stammen, hat sich nunmehr mit der FAUD
in Südbayern als der dort „den allergrößten Teil der
freiheitlich-emanzipatorischen Richtung“ tragenden Organisation
auseinandergesetzt, um die durch die Fokussierung der Historiographie auf die
Novemberrevolution und die Münchner Räterepublik, die (anarchistischen)
Intellektuellen und Bohemiens seiner Meinung nach entstandene „Schieflage in
Forschung wie in Publizität“ (S. 15) kompensieren zu helfen. Zentrales
Forschungsanliegen ist es ihm als heutiger Aktivist, vermittels einer
Gegenüberstellung städtischer, kleinstädtischer und ländlicher Bedingungen die
Frage zu beantworten, unter welchen ökonomischen, politischen und kulturellen
Bedingungen die syndikalistische Bewegung florierte und welche Faktoren ihrer
Ausbreitung hinderlich waren. Die konkreten Aktivitäten vor Ort sollen dabei mit
den allgemeinen Organisationsprinzipien und Weltanschauungen der
syndikalistischen Bewegung auf Reichsebene in Beziehung gesetzt werden. Im
kulturellen Bereich konzentriert sich die Untersuchung auf die Partizipation von
Syndikalisten in der Sexualreform- und Sängerbewegung.
Den größten Teil der Darstellung nimmt die Geschichte der FAUD in München ein.
Ihre lokale Vorläuferorganisation, die Freie Vereinigung deutscher
Gewerkschaften (FvdG), konnte vor dem Ersten Weltkrieg nur dort sowie kurzzeitig
in Augsburg und Rosenheim Fuß fassen. Wie auf Reichsebene verdiente auch in der
bayerischen Hauptstadt das Gros der insgesamt etwa 200 Mitglieder sein Brot in
der Baubranche. Während des Ersten Weltkriegs, als die Freie Vereinigung in die
Illegalität gedrängt und ihre reichsweiten Verbandsorgane verboten wurden,
konnten die organisatorischen Strukturen weitgehend aufrechterhalten und damit
die Grundlage für die rasche Rekonstituierung unmittelbar nach Kriegsende gelegt
werden. Auf den Verlauf der ersten Revolutionsphase bis zur Niederschlagung der
Münchner Räterepublik nahm die Münchner FVdG allerdings kaum Einfluss.
Gleichwohl wurden zwei Mitglieder der Syndikalistischen Arbeiterföderation (SAF)
am 4. Mai 1919 von Regierungstruppen erschossen.
Der über viele Jahre gewachsene feste Zusammenhalt und die personellen
Kontinuitäten vom Kaiserreich zur Weimarer Republik (zu nennen ist hier vor
allem der Schreiner Alois Sirch) ermöglichten es der Münchner Ortsgruppe
offensichtlich, die Neugründung von Organisationen in der südbayerischen Region
zu initiieren. Den Verlust älterer Integrationsfiguren macht Döhring
entsprechend als wesentlichen Faktor des stetigen Mitgliederschwundes aus, der
einen organisatorischen Konzentrationsprozess in Gang setzte. Bis Mitte der
1920-er Jahre gliederten sich die zahlreichen, zuvor selbständigen
Berufsvereinigungen (z.B. der Holzarbeiter, Zimmerer, Isolierer, Steinholz- und
Fliesenleger sowie der u.a. bei BMW vertretenen Metallarbeiter) in die SAF, d.h.
die Vereinigung aller Berufe bzw. in die Vereinigung der Bauberufe ein.
Den Schwerpunkt der Aktivitäten der Münchner Syndikalisten bildete die
Solidaritätsarbeit und Sammlung von Spenden für die Festungsgefangenen und nach
den Märzkämpfen im Ruhrgebiet für deren Opfer sowie die Durchführung zahlreicher
Veranstaltungen, die ebenso wie die Organisationsinterna detailliert dargestellt
werden. Dazu zählte auch die seit 1922 vorbereitete und 1925 realisierte, in
einem eigenen Kapitel anhand von Berichten aus der syndikalistischen Presse
ausführlich geschilderte Errichtung eines Grabmals für den 1919 nach der
militärischen Niederschlagung der Münchner Räterepublik ermordeten Gustav
Landauer. Desweiteren engagierten sich die Syndikalisten vor allem in der
Freidenkerbewegung (dem Freidenkerverein „Darwin“ bzw. der Gemeinschaft
proletarische Freidenker (GpF), bei den Freien Sängern München und im Verein für
Sexualhygiene und Lebensreform (VSL) bzw. im Reichsverband für Geburtenregelung
und Sexualhygiene. Die Bestrebungen zum Aufbau von Ortsgruppen der
syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) und des
Syndikalistischen Frauenbundes (SFB) erwiesen sich dagegen als nur kurzzeitig
erfolgreich. Eigenständige Tätigkeiten auf betrieblicher Ebene sind nur in
Einzelfällen überliefert; im Betrieb waren die Kräfte der Syndikalisten
weitgehend fragmentiert, sahen sie sich doch mit der Gegnerschaft des ADGB
konfrontiert, die in einem Fall zu einer Arbeitsniederlegung mit dem Ziel der
Entlassung eines syndikalistischen Maurers führte.
Im Folgenden wird die Entwicklung der Ortsgruppen außerhalb Münchens
geschildert. In Augsburg bestand – wie bereits erwähnt – schon vor dem Ersten
Weltkrieg eine Organisation mit etwa 30 Mitgliedern, aber erst 1922 wurden
eigene Vereinigungen für Metall- und Textilarbeiter sowie für „alle Berufe“ ins
Leben gerufen. Führender Agitator der aufgrund ihrer organisatorischen Schwäche
verstärkt als Ideenbewegung wirkenden Augsburger FAUD war der Kriegsinvalide
Johann Blöchl. Weitere syndikalistische Gruppen existierten in Dachau und Erding
(alle Berufe), in Moosburg (Zimmerer), Trostberg (Chemiearbeiter der Bayerischen
Stickstoffwerke AG), und kurzzeitig sogar im agrarisch geprägten Ostschwaben
(Pappenheim, Rögling, Langenaltheim, Tagmersheim, Möhren und Monheim), wo die
Gründung das Verdienst der Agitation des ehemaligen Sozialdemokraten und
USPD-Anhängers Hans Ramsteck war.
Portraits des Schreiners Benno Scharmanski (1906-1998), der der
syndikalistischen Holzarbeiterföderation und den Freien Sängern angehörte, 1933
im KZ Dachau inhaftiert und nach 1934 Mitglied der Föderation Freiheitlicher
Sozialisten (FFS) war und Helmut Rüdiger, der 1925-1928 in München wohnte,
später als Redakteur des FAUD-Organs „Der Syndikalist“, Mitglied der
Geschäftskommission und Sekretär der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA)
fungierte, schließen den Hauptteil der Darstellung ab.
Anhand einer statistischen Auswertung der Altersstruktur und der
Branchenzugehörigkeit kommt Döhring zu dem Ergebnis eines im Vergleich mit den
übrigen Ortsvereinen deutlich höheren Durchschnittsalters der Münchner
Mitglieder, bei denen es sich vielfach um ehemalige Sozialdemokraten handelte.
Neben dem Freidenkerverband war nämlich auch die anarchistische Bewegung zum
Sammelbecken zahlreicher oppositioneller Parteimitglieder geworden, die unter
dem Parteivorsitz Georg von Vollmars einer rigorosen Ausschlusspraxis zum Opfer
gefallen waren. Bei den Bauarbeitern in München werden von ihm insbesondere die
lange Tradition des Ortsvereins, seine starke Verankerung innerhalb der
Branchenföderation und seine zentrale Bedeutung für die syndikalistische
Bewegung Südbayerns als der Organisierung in der FAUD förderlich angesehen,
während der Austritt der Trostberger Chemiearbeiter in den 1920er Jahren auf
ihre innerorganisatorische Isolation zurückgeführt wird. Aufgrund der auch in
Württemberg gewonnenen Resultate entwirft er folgende Formel für die
erfolgreiche Konstituierung des Syndikalismus: Syndikalismus =
Industrialisierungsgrad – zentralistische Arbeiterorganisationen (S. 186).
Relative Stärke konnte die FAUD demzufolge außerhalb der traditionellen
Hochburgen der Lokalisten wie München und spezifischer, überproportional
repräsentierter Berufsgruppen nur noch in gewerkschaftlich nicht im
organisierten Neuland wie dem Ruhrgebiet, Schlesien und Industriedörfern wie
Trostberg erlagen. Dort, wo die Freien Gewerkschaften bereits Fuß gefasst hätten
wie in Augsburg und Erding, hätte die FAUD kaum oder keinen Boden mehr gewinnen
können. Generell wäre ihr weiterer Erfolg dann von der Durchsetzungsfähigkeit
gegenüber der vereinten Konkurrenz der Kapitalisten, Sozialdemokraten,
Kommunisten und oftmals auch des Militärs abhängig gewesen. Hier stellt sich
allerdings die Frage, ob diese Exklusionsprozesse im Verhältnis zu den
politischen und sozialen Antipoden nicht auch konstitutiv für die Herausbildung
einer kollektiven Identität und damit gleichermaßen ein zentraler
Mobilisierungsfaktor waren.
Der Anhang beinhaltet ein Nachwort Günter Gerstenbergs vom Archiv der Münchner
Arbeiterbewegung über die ungeschriebene, von der „weiß-blauen Historikerzunft“
ignorierte Geschichte der Widerständigen in Baiern, des „anderen Baiern“,
Auflistungen der Mitgliederzahlen der Gesamtorganisation, der SAJD sowie der
Ortsvereine in Südbayern, Nachrufe auf Gustav Landauer aus der Feder Victor
Fraenkls, Fritz Oerters, Helmut Rüdigers, Erich Mühsams und Augustin Souchys,
grundlegende statuarische Bestimmungen der Gesamtorganisation und schließlich
einen detaillierten Index der Personen und Treffpunkte.
Insgesamt handelt es sich um eine präzise recherchierte, u.a. auf der Auswertung
von Beständen der bayerischen Staats- und Kommunalarchive sowie der
anarchistischen und syndikalistischen Presse basierende Arbeit. Sie bleibt
allerdings sehr stark einer konventionellen organisationsgeschichtlichen
Darstellungsweise verhaftet und differenziert nicht immer hinreichend zwischen
der Geschichte, Theorie und Programmatik der syndikalsitischen Bewegung auf
Reichsebene und der lokalen bzw. regionalen Entwicklung der FAUD in Südbayern,
neuere Forschungsansätze und Fragestellungen, die insbesondere in den letzten
Aufsätzen von Bert Altena und Marcel van der Linden thematisiert werden, werden
ebenso wie die Frage nach der Bedeutung des nachinflationären Wandels der
sozioökonomischen Rahmenbedingungen für die Marginalisierung der
syndikalistischen Bewegung kaum aufgegriffen. Die Einordnung in die Geschichte
der Arbeiterbewegungen in München bzw. Südbayern fällt gerade vor dem
Hintergrund der spezifischen politischen Verhältnisse in der „Ordnungszelle“
Bayern sehr knapp aus.
Jürgen Jenko
Aus: Prof. Dr. Klaus Tenfelde, Institut für soziale Bewegungen der
Ruhr-Universität Bochum (Hg.): Mitteilungsblatt des Instituts für soziale
Bewegungen, Forschungen und Forschungsberichte, Nr. 40 (2008)
(1) Bert Altena: Zur Analyse des revolutionären Syndikalismus, in:
Mitteilungsblatt des Instituts zur Erforschung der europäischen Arbeiterbewegung
(IGA) 22 (1999), S. 5-35, hier S. 25f., 34
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