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Fritz Oerter
Zur Verhandlung gegen Ernst Toller
Urteil: 5 Jahre Festung!
In der Verhandlung gegen Toller wurde u.a. ein Brief des preußischen
Justizministers Wolfg. Heine zur Verlesung gebracht, worin sich dieser ziemlich
ungehalten darüber ausspricht, dass die Verhältnisse in Bayern eine solche
Entwicklung genommen haben und dass nicht Toller usw. sondern ganz andere daran
schuld wären. Wer sind nun die anderen? Meint er vielleicht seine eigenen
bayerischen Parteigenossen? Man denke doch nach und lasse noch einmal kurz die
Verhältnisse Revue passieren. Am 21. Februar wird Eisner durch einen
reaktionären Anschlag beseitigt und am gleichen Tage gibt ein fanatischer Mensch
im Landtag auf Auer einige Schüsse ab, wovon dieser und mehrere andere schwer
getroffen bezw. getötet werden. Der Landtag, von Panik ergriffen, läuft
auseinander. Der Zentralrat aber bleibt pflichtgemäß auf seinem Posten und
beruft den Rätekongreß ein. In diesem Augenblick ist der Rätekongreß in Bayern
tatsächlich die beste Gewalt. Ein Parlament, das sich beim Lautwerden einiger
Revolverpatronen in seine Bestandteile auflöst und auf schnellstem Wege nach
allen Himmelsrichtungen auseinanderstiebt, kann doch unmöglich im Ernst als eine
Regierungsgewalt betrachtet werden. Doch die Verhältnisse gedeihen weiter. Eine
starke Strömung im Rätekongress trachtet darnach, dass, was im Augenblick
wirklich vorhanden ist, nämlich die unbestrittene Herrschaft der Räte, auch
öffentlich so zu nennen und als Räterepublik zu proklamieren. Aber eine
ungeheure Gegenagitation setzt ein. Hinter dem Rücken des Rätekongresses
konspirieren die Mehrheitler in ihren Partei- und Gewerkschaftskonventikeln.
Schneppenhorst läßt von Nürnberg her über München dröhnende Flugblätter
abwerfen. Der Rätekongreß faßt mit großer Mehrheit den Beschluß – auch Landauer
ist dafür – von der Ausrufung der Räterepublik abzusehen, ein
reinsozialistisches Ministerium einzusetzen und den Landtag vorläufig nicht
einzuberufen. Inzwischen stellt sich die gesamte bürgerliche Presse an, als ob
sich München in der Hand einer Räuberbande befände; die sozialistische Presse
sekundiert. Es dauert nur wenige Tage, dann wird – wiederum hinter dem Rücken
des Rätekongresses in Nürnberg zwischen einigen zweifelhaften USP- Männern und
Mehrheitlern, die ihrerseits wieder zuvor mit den bürgerlichen
Landtagsmitgliedern in Bamberg getechtelmechtelt hatten, eine Vereinbarung
getroffen, wonach das Ministerium etwas umgewechselt, auch der unvermeidliche
Schnappenhorst hineinpraktiziert wird, und die bestimmt, daß der Landtag doch zu
einer kurzen Tagung zusammentreten soll, aber nur zu dem Zweck, um das
sozialdemokratische Ministerium zu bestätigen und mit Vollmachten auszustatten.
Geduldig und fügsam akzeptiert der Landtag, dessen Mehrheit antisozialistisch
ist, die Diktatur der sozialdemokratischen Minderheit und geht wieder
auseinander. Die merkwürdige Toleranz gegenüber dem sozialdemokratischen
Ministerium findet ihre Erklärung darin, daß die bürgerlichen Parteien glaubten,
voraussetzen zu dürfen, die sozialdemokratischen Herren in der Regierung würden
ja doch nur zu ihren Gunsten arbeiten. Aber es kam anders. Die Regierung wurde
auch von Seiten der Arbeiterschaft gedrängt, endlich einmal mit den Revolutions-
und Sozialisierungsversprechen ernst zu machen. Sie sah sich gezwungen, etwas in
der Richtung zum Sozialismus zu tun. Da kam sie aber schön an! Eine Flut von
Beschuldigungen und Anwürfen ergoß sich aus den Spalten der bürgerlichen Blätter
über diejenigen, die am Regierungssteuer saßen, und besonders über den
Handelsminister Simon und das Zentralwirtschaftsamt, an dessen Spitze Dr.
Neurath stand. Lostrennung und Bürgerstreik wurden angekündigt, der „Fränkische
Kurier“ in Nürnberg bekam jeden Tag zweimal einen Tobsuchtsanfall und auch die
sozialdemokratische Presse stimmte, was Neurath und Simon betraf, in das
„Kreuzige!“ mit ein. Jetzt, wo es dem Geldsack an den Kragen ging, fand auf
einmal auch die „gesetzmäßige“ Vertretung des bayerischen Volkes, der Landtag,
die Kurage wieder und wollte zusammentreten. In einer revolutionären Epoche,
einer Zeit, wo die Volksmeinung sprunghaft wechselt, wo heute das gilt, was
gestern verworfen wurde und morgen vielleicht schon nicht mehr sein wird, laufen
Leute im Lande herum, die sich einbilden, sie sind für fünf Jahre die
„gesetzmäßigen“ Vertreter des Volkes! Von diesen Usurpatoren der Macht sollen
sich die von Tag zu Tag anschwellenden Massen, welche die Revolution durchführen
wollen, einschüchtern und aufhalten lassen!
Dagegen lehnten sich die revolutionären Arbeitermassen Augsburgs und Münchens
auf und verlangten die Räterepublik. Es muß einmal klar gestellt werden: Nicht
gegen die Regierung, sondern gegen den Kapitalismus war diese Rätebewegung
gerichtet. Sie hofften damit, die Regierung gegen das wütende Kapitalistentum
unterstützen zu können und erwarteten von ihr Entgegenkommen. Zum Teil kam ihnen
auch dieselbe entgegen, besonders Schneppenhorst. Hintennach wurde dann
allerdings dieses Entgegenkommen nur als politischer, taktischer Kniff
hingestellt. Hätten die Herren von der Regierung damals klar und deutlich
bekannt, dass sie ihr Herz und ihr demokratisches Hirn mit stärkeren Seilen zum
Bürgertum ziehen als zur Arbeiterschaft, wäre es anders gekommen; denn so
fanatisch verbohrt war kein Toller, kein Landauer, Soldmann, Klingelhöfer,
Sauber, auch kein Mühsam, dass sie selbst auf die Gefahr hin, es werde der
Bürgerkrieg ausbrechen, die Räterepublik hätten durchzusetzen versucht.
Es ist ein Unding, mit den Organen und Gesetzen der vorrevolutionären Zeit die
revolutionären Erscheinungen der Gegenwart meistern, richten und niederhalten zu
wollen. Jeder, der klar sieht, weiß, dass die Revolution noch lange nicht zu
Ende ist. Wohin soll es wohl kommen, wenn immer diejenigen, die gerade oben
sind, die anderen einsperren und niederknüppeln lassen? Man sollte keine
schlechten Beispiele geben. Was du nicht willst, dass man dir tut, das füg auch
keinem andern zu.
Mit jedem Prozeß, der gegen die Münchener Räterepublikaner geführt wird, klärt
sich die Sache immer mehr zugunsten der letzteren. So war es auch im Prozeß
Toller. Es ist leicht abzusehen, wer am Ende der eigentlich Verurteilte sein
wird.
(F)ritz O(erter)
Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 33/1919
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