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Augustin Souchy: Nelti von Han Ryner Das neueste Buch der Gilde freiheitlicher Bücherfreunde Das sagenumwobene Land Atlantis, das nach alten Überlieferungen eine mächtige Insel im Atlantischen Ozean gewesen sein soll, die später versunken ist, wird von dem Verfasser wieder erweckt. Vor unwillkommenen Eindringlingen durch ein unzugängliches Schlamm- und Algenmeer geschützt, ersteht im südlichen Teile des Atlantischen Ozeans ein prächtiges Eiland, begünstigt von einem herrlichen Klima, gesegnet mit unermesslicher Fruchtbarkeit. In diesem Lande leben Menschen in vollster Freiheit. Sie haben alle Formen menschlicher Sklaverei überwunden; ihr Gemeinschaftsleben ist vollendete Harmonie, die Persönlichkeit, von jedem Zwang befreit, hat die höchste Stufe der Entwicklung erklommen. Sie leben in Pyramidenhäusern mitten in einer paradiesischen Natur. Ihre Lebensformen sind einfach, aber kulturell und ethisch hoch entwickelt. Sie kennen weder Herren noch Knechte; Unterdrückung, Ausbeutung und Beherrschung, aber auch Armut und Elend sind ihnen fremd. Kapitalismus und Proletariat, Staat, Kirche und Polizei sind unter ihnen unbekannt. Die Produktion für den Warenmarkt, Handel und Industrie haben sie überwunden. Ihre Wissenschaft hat einen hohen Stand; ihre Entdeckungen und Erfindungen sind den unsrigen voraus. Mit uns unzulänglichen Hilfsmitteln haben sie das Problem des Ikarus gelöst: jeder einzelne kann sich mit Hilfe eines Fliegergurtes in die Lüfte erheben. Unsere Kultur ist ihnen bekannt, sie haben die Möglichkeit, die zivilisierte Welt durch Fernsehen zu beobachten und zu ihr zu gelangen. Sie lehnen es ab und bleiben in ihrer herrlichen Abgeschlossenheit. Französische Schiffbrüchige gelangen in das Algenmeer und werden von den Atlanten gerettet. Auf der wunderbaren Insel leben sie eine Zeitlang von den Atlanten als Brüder behandelt, ein Leben in Freiheit und Freuden. Doch die Bestie des zivilisierten Menschen ist in ihnen noch zu mächtig. Sie fassen den wahnwitzigen Plan, die friedliebenden und den Menschenmord verabscheuenden Atlanten zu unterjochen, sich ihres Landes zu bemächtigen, Staaten zu bilden, Regierungen einzusetzen, mit einem Wort die ‚Wilden’ zu zivilisieren. Es gelingt ihnen auch, sich der Waffen eines Museums zu bemächtigen und eine Anzahl Atlanten zu töten. Dann aber werden sie durch die höher stehenden Atlanten aus dem Lande und wieder aufs Meer hinausgebracht, von wo sie ihren Weg zurückfinden nach Europa. Das ist der Roman, den der französische Anarchist Han Ryner, bekannt durch eine Reihe philosophischer literarischer Werke, einen der Schiffbrüchigen erzählen läßt. Spannend in der Darstellung vom Anfang bis zum Ende mit einem dichterischen Schwung geschrieben, gehört dieses Buch zu den besten utopischen Romanen. Es steht über dem Bellamyschen ‚Rückblick aus dem Jahre 2000’, hält den Vergleich mit der ‚Kunde von nirgendwo’ von William Morris aus und ist als der modernste der freiheitlichen Zukunftsromane zu betrachten. Die Gilde freiheitlicher Bücherfreunde kann es sich als Verdienst anrechnen, dieses Buch in deutscher Sprache herauszugeben.“ Aus: „Besinnung und Aufbruch“, Nr. 11/März 1930.
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