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Geschichte der syndikalistischen
Arbeiterbewegung in Deutschland - Ein virtuelles Museum - Teil 1
Was bedeutet eigentlich Arbeiterbewegung?
Wer anfängt, sich für die Geschichte der
Arbeiterbewegung in Deutschland und international zu interessieren, lernt
als erstes, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter vornehmlich in Parteien
organisiert waren, in sog. „Arbeiterparteien“. In Deutschland waren dies die
SPD und die KPD. Schon bald fallen bei näherem Hinsehen noch weitere
Parteien ins Auge, z.B. die „Unabhängige Sozialdemokratische Partei
Deutschlands“ (USPD), die „Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (KAPD)
oder später die „Sozialistische Arbeiterpartei“ (SAP). Und wie
selbstverständlich werden bei der Definition des Begriffes
„Arbeiterbewegung“ die Parteien in den Vordergrund gestellt. Das gleiche
gilt für die Zentralgewerkschaften des „Allgemeinen Deutschen
Gewerkschaftsbundes“ (ADGB).
Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass diese Institutionen weniger
mit Bewegung im eigentlichen Sinne zu tun hatten, als mit Regulierung und
Disziplinierung der Arbeiterbewegung, ganz im Interesse der privaten oder
staatlichen Kapitaleigner. Wenn wir also von der „Arbeiterbewegung“ als
Bewegung sprechen, so können wir damit nur die proletarischen
Basisinitiativen meinen, welche unter Einsatz von Gesundheit und Leben
versuchten, den Klassenkampf voranzutreiben. Das können im einzelnen auch
SPD oder KPD-Mitglieder gewesen sein. Auffallend hierbei ist, dass sie mit
konsequentem Handeln schon bald den Widerspruch ihrer Führungsgremien in
Parteien und Zentralgewerkschaften herausforderten. Wir wollen hier
„Bewegung“ als etwas organisch gewachsenes verstehen, d.h. nicht als Reflex
einer Order vom Partei- oder Gewerkschaftsvorstand, sondern als Aktivität
von frei organisierten Lohnabhängigen im Bewusstsein völliger
Eigenverantwortung unter Umgehung zentralistischer Organisationen. Viel
Kraft und Energie lässt sich absorbieren von der Beschäftigung mit
Parteistreitigkeiten, großen Persönlichkeiten („Ja, wenn der Bebel 1914 noch
gelebt hätte...“) und diversen Auslegungen marxistischer Literatur von
Bernstein bis Lenin. Und das alles, um festzustellen, dass die
Arbeiterbewegungen, wie sie hier definiert werden, in den einzelnen Ländern
erstarrten. Wer nun diesen Erkenntnisprozess wesentlich und legitim abkürzen
möchte, schaut am besten dorthin, wo es tatsächlich auch organisierte
Bewegung von Arbeitern gegeben hat, jenseits marxistischer Doktrinen und
parteipolitischer Verblendung. Und tatsächlich gibt es da etwas zu
entdecken. Die Arbeiterbewegung mit eigenständiger Organisationsform sind in
Deutschland zur Zeit zwischen den beiden Weltkriegen vor allem bei den
Unionisten/Rätekommunisten und bei den Syndikalisten/Anarcho-Syndikalisten
zu finden. Hier soll es im folgenden um die Syndikalisten und
Anarcho-Syndikalisten gehen, welche in Deutschland nicht nur eine
bemerkenswerte Ideenbewegung darstellte, sondern Anfang der zwanziger Jahre
auch als eine proletarische Massenbewegung gekennzeichnet werden kann,
welche unter Zeitgenossen einen sehr hohen Bekanntheitsgrad erlangte, heute
jedoch in Vergessenheit geraten ist. |
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Dieser Text ist eine Zusammenstellung folgender Beiträge
Gerhard Aigte: Die Entwicklung der
revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung Deutschlands in der
Kriegs- und Nachkriegszeit (1918-1929), Bremen 2005
Helge Döhring: Zur Geschichte des
Anarcho-Syndikalismus in Württemberg 1933 bis 1960, unveröffentlicht
Helge Döhring: Syndikalismus nach 1945,
Teil 1, in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven,
Bremen 2005
Helge Döhring/Martin Veith: Syndikalismus
nach 1945 - Teil 2, in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und
Perspektiven, Bremen 2005
Helge Döhring: Syndikalismus und
Anarcho-Syndikalismus in Deutschland – Eine Einführung, in Jürgen Mümken:
Anarchosyndikalismus an der Fulda. Die FAUD in Kassel und im Widerstand
gegen Nationalsozialismus und Faschismus, Frankfurt/M. 2004
FAU-Bremen: Kurze Einführung in die
Geschichte des Anarcho-Syndikalismus und der FAU-IAA, Bremen 1998
Martin Veith: Anarchismus in Deutschland
1945-1960. Buchbesprechung: Hans Jürgen Degen: „Anarchismus in Deutschland
1945 – 1960. Die Föderation Freiheitlicher Sozialisten“, in: Direkte Aktion,
Nr.153 September/Oktober 2002
Diese Originaltexte wurden zum Teil umgeändert, damit sie sich besser
aneinanderfügen. Die Zitate zur Geschichte nach 1945 stammen aus dem sehr
lesenswerten Buch von Hans Jürgen Degen: Anarchismus in Deutschland
(1945-1960). Die Föderation Freiheitlicher Sozialisten, Ulm 2002 |
Die Entwicklung der lokalistischen Opposition innerhalb
des zentralistischen Gewerkschaftsverbandes.
Obgleich die syndikalistischen Tendenzen in der deutschen
Arbeiterbewegung erst nach dem Weltkriege größere Bedeutung erlangt haben
und erst nach der Revolution der Ausdruck „Syndikalisten“ zur offiziellen
Bezeichnung der Anhänger einer solchen Bewegung erhoben wurde, bestand doch
schon vor und während des Krieges eine Richtung, die dem französischen
revolutionären Syndikalismus ungefähr entsprach. Diese bildete in ihrer
ersten Entwicklungsstufe eine Oppositionsgruppe innerhalb der
zentralistischen Gewerkschaftsverbände. Deshalb erweist es sich als
zweckmäßig, zunächst die Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung
insbesondere die der sozialdemokratischen Gewerkschaften zu verfolgen.
Die Anfänge der deutschen Gewerkschaftsbewegung fallen in die sechziger
Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit der Aufhebung des Koalitionsverbotes für
Preußen im Jahre 1867 und für ganz Deutschland im Jahre 1869 herrschte die
lang ersehnte, wenn auch beschränkte Vereinigungsfreiheit, die der
Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung den Weg frei machte. Im Jahre
1868 gründete Schweitzer als erster einen Gewerkschaftsverband, der in engen
Zusammenhang mit dem Lassalleanischen Allgemeinen Arbeiter- Verein trat.
Auch Hirsch- Duncker errichteten in diesem Jahre die nach ihnen benannten
wirtschaftsfriedlichen Gewerkschaften. Etwas später entstanden noch
besondere gewerkschaftliche Gruppen, wie die christlich- nationalen und
andere konfessionelle Arbeitervereine. In diese Zeit fallen auch die
Gründungen von Gewerkschaften durch die Eisenacher Sozialdemokratie, deren
Aufbau zentralistisch gestaltet wurde. – Schon bei der Errichtung dieser
Verbände bestanden einzelne Gruppen, die das zentralistische
Organisationsprinzip ablehnten und einen föderativen, auf sozialistischer
Grundlage aufgebauten Organismus befürworteten: Die Lokalisten, die jedoch
zu jener Zeit noch von geringer Bedeutung waren.
Die Entwicklung dieser freien Gewerkschaften und ihr
weiterer Ausbau im Sinne des Zentralismus wurde durch das Sozialistengesetz
von 1878 gehemmt, das fast alle Gewerkschaften auflöste, jedoch die örtliche
Vereinsbildung nicht verbot. In dieser Zwangslage bekehrten sich die
Anhänger der aufgelösten freien Gewerkschaften vorübergehend zum Lokalismus
und Föderalismus. So gründeten sie im Jahre 1881 an vielen Orten
Deutschlands Lokalorganisationen, die aus ihrer Mitte Vertrauensmänner
wählten. Diese traten als Einzelpersonen miteinander in Verbindung und
stellten auf diesem Wege eine zwar lose, aber durchaus wirksame Föderation
her. Von den Vertrauensmännern wurden wiederum Agitationskommissionen
gewählt, deren Aufgabe es war, Zeitungen herauszugeben. Doch wurden diese
bald verboten und ihre Herausgeber aus Deutschland ausgewiesen. Aus diesem
Grunde erschienen die Zeitungen von nun an wöchentlich unter wechselndem
Namen.
Mit dem Fall des Sozialistengesetzes im Jahre 1890
erstarkten die zentralistischen Tendenzen wieder. Es wurde eine General-
Kommission der Gewerkschaften gebildet, die die örtlichen Fachverbände durch
Zusammenschluß und Durchgliederung zu zentralen Berufsverbänden umbildete,
die sich später zu Industrie- Verbänden ausgestalteten. Dieser
Umwandlungsprozeß ging natürlich nicht ohne den Widerspruch der Lokalisten
vor sich, die vor allem in dem Baugewerbe Berlins ihre Hauptstütze fanden.
Die beiden Richtungen traten sich auf dem ersten gewerkschaftlichen Kongreß
zu Halberstadt im Jahre 1892 gegenüber. Er endete, wie vorauszusehen war,
mit dem Siege der Zentralisten, die die vollständige Vernichtung der
Lokalorganisation beschlossen. Die Lokalisten, ihrer Ohnmacht innerhalb des
zentralistischen Gewerkschaftsverbandes bewusst, ergriffen die einzige
Möglichkeit, die sich ihnen bot, um ihren Anschauungen das Leben zu
erhalten: sie verließen demonstrativ die Versammlung und beschlossen, einen
eigenen Kongreß einzuberufen. |
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Erlass des "Sozialistengesetzes" durch den
Kaiser, 1878
Kapitalismus unverkürzt :-)
Geburtstunde des 1.Mai
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1. Kongress der späteren "Freien Vereinigung
deutscher Gewerkschaften"
Vereinigung der Brauereiarbeiter in Berlin,
in "Die Einigkeit" |
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Die „Vertrauensmänner- Zentralisation“ als die
Vorläuferin des deutschen Syndikalismus.
Der „Kongreß der Lokalorganisierten oder auf Grund des
Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands“ wurde
in Halle am 17. Mai 1897 abgehalten. 38 Delegierte von 14 Berufen besuchten
ihn und schlossen sich zu der Vertrauensmänner- Zentralisation zusammen,
deren Anhängerschaft eine Statistik der Generalkommission mit 6.803
Mitgliedern angibt. Im Vergleich mit der Stärke des Zentralverbandes, der
für das gleiche Jahr 412.359 Mitglieder umfasste, erscheint diese
verschwindend gering. Doch liegt die Bedeutung der lokalistischen Bewegung
auch nicht in ihrer zahlenmäßigen Stärke, sondern in ihrer revolutionären
Tendenz.
Die auf dem Kongreß versammelten Vertreter befassten sich
zunächst mit der Aufgabe, die gegründete Vereinigung zu organisieren. Zu
diesem Zweck wählten sie eine leitende Geschäftskommission, die die Aufgabe
hatte, „das Band der Organisation zu festigen und in Wort und Schrift
Propaganda zu machen für die Ideen des Sozialismus, um neue Anhänger zu
werben“. Die Geschäftskommission, die die Verbindung der angeschlossenen
Gewerkschaften übernahm, stellte keine Zentralleitung im Sinne der
Zentralverbände dar, sondern erfüllte mehr die Aufgaben einer
Agitationskommission. Jeder einzelne Ortsverein sollte innerhalb des
föderalistischen Zusammenschlusses selbständig bleiben.
Einen weiteren Punkt der Tagesordnung bildete ein Referat, in welchem die
Stellung der Vertrauensmänner- Zentralisation innerhalb der sozialistischen
Arbeiterbewegung herausgearbeitet werden sollte. Dieses weist schon eine
teilweise Übereinstimmung mit den Grundsätzen des französischen
Syndikalismus auf. Die Vertrauensmänner- Zentralisation erklärte, dass sie
das Prinzip der Klassenzweiteilung anerkenne und nur die Interessen der
Arbeiterklasse vertreten wolle. Sie erkannte die Notwendigkeit des
Klassenkampfes an und wünschte nicht den Frieden, sondern den dauernden
Kampf gegen das Unternehmertum bis zu dessen völliger Vernichtung. Sie
empfahl die direkte Aktion, sie verfocht die Idee des Massen- und
Generalstreiks als Kampfmittel zum Sturze des Kapitalismus.
Im Widerspruch mit dem Gedanken der direkten Aktion
standen die Ausführungen Kesslers auf dem Kongreß, der betonte, dass der
gewerkschaftliche Kampf nur im engsten Anschluß an die Sozialdemokratische
Partei geführt werden könne. Die Gewerkschaften müssten bei der
Sozialdemokratischen Partei belassen und in deren Dienst gestellt werden.
Die lokalistische Organisationsform schien auch dazu am besten geeignet,
während dagegen der zentralistische Zusammenschluß die Gefahr der
Selbständigwerdung gegenüber der Partei in sich schloß. Die
Sozialdemokratische Partei wollte zunächst von der zentralistischen
Gewerkschaftsbewegung nichts wissen. Als diese aber immer mehr wuchs, sodaß
schließlich eine Personal- Union von Partei und Zentralverbänden in Führung
und Gefolgschaft entstand, sahen sich die Lokalisten von der
Sozialdemokratischen Partei abgeschnitten. Von dieser Zeit ab gerieten sie
immer stärker unter den geistigen Einfluß des französischen Syndikalismus.
Die Folge war, dass der Abstand dieser Bewegung von den Zentralverbänden
sich vergrößerte und damit auch der von der Sozialdemokratischen Partei. |
Die „Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften“, die
Fortsetzung der Vertrauensmänner- Zentralisation.
Stellungnahme gegenüber den Parteien. Auf dem 5. Kongreß, der in Berlin vom
22. bis 25. September 1901 abgehalten wurde, erklärte man die Neutralität
des Verbandes gegenüber den politischen Parteien. Zugleich beschloß man die
bisherige Benennung des Zusammenschlusses abzuändern in die Bezeichnung
„Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften.“
Auf Seiten des Zentralverbandes teilte man anfangs fast
allgemein die Meinung, dass die lokalistische Richtung allmählich
verschwinden werde. Als sich diese Ansicht als falsch erwies, beabsichtigten
die Sozialdemokratie und die Zentralverbände, die Lokalisten durch
Einigungsverhandlungen, die im Jahre 1903 einsetzten, zu beseitigen.
Unglücklicherweise ließen sich die Lokalisten auch auf derartige
Verhandlungen ein, deren Abschluß ihrer Bewegung großen Schaden zufügen
sollte. Schon auf dem 6. Kongreß im folgenden Jahre konnte die Freie
Vereinigung feststellen, dass ein erheblicher Teil ihrer Mitglieder zu den
Zentralverbänden abgewandert war.
Die Einigungsverhandlungen, die zwischen dem
Parteivorstand und der General- Kommission einerseits und der
Geschäftskommission andererseits geführt wurden, zerschlugen sich, als die
Lokalisten in einer Sitzung vom 13. März 1904 darauf bestanden, die
organisatorische Selbständigkeit ihrer Bewegung innerhalb des
Zentralverbandes zu verlangen. Damit war der weiteren Entwicklung der
lokalistischen Bewegung, die durch diese Verhandlungen gehemmt war, wieder
freie Bahn geschaffen. |
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Föderalismus oder Zentralismus
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Karikatur im Syndikalist
Erfahrungen und Argumente
gegen zentralistische Organisation
SPD Parteitagsprotokoll, Jena 1905.
Für weitere Informationen auf das Bild klicken. |
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Das Problem des Generalstreiks.
Die Tätigkeit der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften wandte sich
jetzt wieder Problemen prinzipieller Natur zu, deren Bejahung oder Negierung
für die sich erweiternde Trennung zwischen der Freien Vereinigung und den
Zentralverbänden und der sozialdemokratischen Partei von Bedeutung war. Im
Vordergrund des Interesses stand die Frage des Generalstreiks mit Rücksicht
auf den für das Jahr 1904 nach Amsterdam einberufenen Internationalen
Sozialistischen Kongreß, auf welchem diese den Hauptpunkt der Tagesordnung
ausmachte. Die Freie Vereinigung berief zur Stellungnahme zu dieser Frage
eine öffentliche Massenversammlung am 4. August 1904 ein, die Dr. Friedeberg
mit einem Referat über „Parlamentarismus und Generalstreik“ einleitete. Das
Ergebnis war die folgende einstimmig beschlossene Resolution, die zum ersten
male den Antiparlamentarismus in das Programm der Freien Vereinigung
einfügte: „Die irrtümliche Auffassung vom Wesen des Staates, ganz besonders
aber die Überschätzung des Parlamentarismus haben allmählich das Proletariat
vom Boden des eigentlichen Klassenkampfes abgedrängt. Die Trennung der
proletarischen Bewegung in politische Partei- und Gewerkschaftsbewegung, die
daraus erwachsende Neutralität der Gewerkschaften, welche fast
ausschließlich in der Verbesserung des Arbeitsvertrages ihre alleinige
Aufgabe erblicken, hat dem Klassenkampf den Todesstoß gegeben.
Die wahre Macht des Proletariats beruht auf der möglichst großen Zahl völlig
freier, vom Geist des Klassenkampfes durchdrungener Persönlichkeiten, wie
sie niemals der auf einem Vertretersystem beruhende Parlamentarismus, wohl
aber eine vom Geist des Sozialismus getragene Gewerkschafts- Bewegung
herausbilden kann.
Massenaktion mit voller Verantwortlichkeit jedes Einzelnen – Streiks,
Maifeier, Boykott – das sind die Vorbedingungen der endgültigen Befreiung
des Proletariats. Diese Befreiung selbst, die Aufhebung der
Klassenherrschaft wird erfolgen durch den Generalstreik. Nicht durch eine
Revolution, nicht im Wege des Blutvergießens und der Gewalt, sondern durch
ein ethisches Kampfmittel, durch die Verweigerung der Persönlichkeit, die,
in weitem Umfange durchgeführt, das Proletariat aus der Produktion
ausschaltet und dadurch die ökonomische Herrschaft der Kapitalisten- Klasse
und ihr Instrument, den Staat, beseitigt.
Aus diesen Gründen erwartet die Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften,
dass die nur indirekt nützende, unzweckmäßige ungeheure Opfer an geistigen
und materiellen Kräften erfordernde parlamentarische Bestätigung
zurückgedrängt und alle Kraft des deutschen Proletariats auf die geistige
und sittliche Hebung des Proletariats und auf den wirtschaftlichen Kampf
verwandt werden soll, dass der Aufbau der gewerkschaftlichen Organisation
und der Erziehung der gewerkschaftlichen Mitglieder über die Tagesfragen
hinaus zu idealgesinnten, bewussten Klassenkämpfern mit aller Macht
betrieben und so die Möglichkeit eines siegreichen Generalstreiks für das
deutsche Proletariat baldigst verwirklicht werde“.
Zwei Delegierte der Freien Vereinigung wurden beauftragt, auf dem
internationalen sozialistischen Kongreß zu Amsterdam die gefasste Resolution
zu begründen. Ihre Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Es wurde ein
Kompromissantrag angenommen, der den Generalstreik ablehnte, aber den
politischen Massenstreik propagierte.
Eine gleiche Stellung nahm der sozialdemokratische Parteitag vom September
1905 in Jena ein, auf welchem sich die Sozialdemokratie verpflichtete,
„gegebenenfalls“ den politischen Massenstreik zu erklären. Die
Zentralverbändler jedoch beachteten weder die Amsterdamer Beschlüsse noch
die Jenenser, sondern hielten an der Resolution ihres Kongresses vom Mai
1906 in Köln fest, der den Generalstreik als „Indiskutabel“ erklärt und
diesen Propaganda verboten hatte. Darüber hinaus zwang die General-
Kommission den sozialdemokratischen Parteivorstand in geheimen
Verhandlungen, ein Protokoll zu unterzeichnen, dessen erster Absatz lautete:
„Der Parteivorstand hat nicht die Absicht, den politischen Massenstreik zu
propagieren, sondern wird, soweit es ihm möglich ist, einen solchen zu
verhindern suchen“. Dieses Schriftstück gelangt in die Hände der
Geschäftskommission, die es in der „Einigkeit“, dem im Jahre 1897
geschaffenen Organ der Freien Vereinigung, veröffentlichte und dieses
Vorgehen als einen Verrat an der Arbeiterschaft brandmarkte. Diese
Kundgebung erregte auf der Gegenseite starken Unwillen. Die von der Partei
einsetzende Hetze gegen die Freie Vereinigung brachte es dahin, dass in
Mannheim im Jahre 1906 auf dem sozialdemokratischen Parteitag ein Beschluß
gefasst wurde, nach welchem die Mitglieder und Anhänger der Freien
Vereinigung Deutscher Gewerkschaften aus der Sozialdemokratie auszuscheiden
hätten und diese Richtung auf das schärfste zu bekämpfen sei. Durch dieses
Vorgehen der Partei wurde die reinliche Scheidung zwischen beiden vollzogen
und die Freie Vereinigung von jeglicher Fühlung mit der Partei gelöst. Seit
dieser Zeit sollte diese Bewegung bis auf den heutigen Tag mit keiner
politischen Partei irgendwelche Gemeinschaft haben. |
Die Wirkung des Ausschlusses aus der Sozialdemokratischen
Partei auf die Freie Vereinigung und deren weitere Entwicklung zum
Syndikalismus bis zum Kriege.
Auch die letzten Sympathien für die Zentralverbände, die in den Reihen der
Freien Vereinigung noch vorhanden waren und immer noch eine Einigung beider
Richtungen beabsichtigten, sollten bald verschwinden. Auf dem 8. Kongreß der
Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften, der im Januar 1908 in Berlin
tagte, lag ein Antrag der 16. Konferenz der „Freien Vereinigung der Maurer
Deutschlands“ vor, der die Auflösung der Freien Vereinigung und ihr Aufgehen
in die Zentralverbände verlangte. Es kam darüber zu einem Bruch, der damit
endete, dass alle dem Antrag günstig Gesinnten aus der Freien Vereinigung
ausschieden. So verließen die lokalistische Bewegung die letzten Elemente,
deren Tätigkeit einer ruhigen Entwicklung der Freien Vereinigung im Wege
gestanden hatte, sodaß diese sich jetzt ungehindert zum ausgesprochenen
Syndikalismus hinentwickeln konnte.
Eine Folge der reinlichen Scheidung war das Abnehmen der Mitgliederzahl der
Freien Vereinigung um mehr als die Hälfte. Für das Jahr 1906 betrug diese
Zahl 13.145 Mitglieder, die 1907 auf 17.633 stieg, jedoch 1911 nur noch
7.833 umfaßte gegenüber 2.400.018 in den Zentralgewerkschaften.
Die Verminderung der Mitgliederzahl hatte aber den Vorteil, dass durch das
Ausscheiden der störenden Faktoren Ruhe in die lokalistische Bewegung kam,
die ihrer Fortentwicklung nur förderlich sein konnte. Das zeigte sich auf
den folgenden Kongressen, die in der Hauptsache der Stellungnahme zu
grundlegenden Problemen gewidmet waren, die zu einer Klärung und Festigung
der Ansichten beitrugen und die Basis für die nach dem Kriege errichtete
Prinzipienerklärung schufen. Auf dem 9. Kongreß im März 1910 demonstrierte
die Freien Vereinigung gegen die reformistische Sozialgesetzgebung mit der
Begründung, dass diese weder den Arbeitern wirkliche Vorteile zu bringen
vermöchte, noch ein wirksames Mittel sei, die besitzende Klasse zu
bekämpfen. In einer Resolution wurde erklärt, dass „nicht auf
politisch-parlamentarischem, sondern einzig auf ökonomischem Gebiet das
Proletariat dem Kapitalismus schon heute Wunden zu schlagen und Niederlagen
zu bereiten“. in der Lage sei. Der 10. Kongreß vom Juli 1912 beschäftigte
sich mit organisatorischen Fragen. Zunächst wurde bei der Behandlung des
grundsätzlichen Problems „Zentralismus oder Föderalismus“ der Zentralismus
verworfen, da er „immer Herrschaft auf der einen und Knechtschaft und
Gehorsam auf der anderen Seite bedingt“. Ihm setzte man den Föderalismus
entgegen, der die örtliche Selbständigkeit der Berufsvereine gewährleistete.
Jeder Organisation sollte vollkommenes Selbstbestimmungsrecht und ihre
eigenen, den örtlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Interessen
entsprechenden Statuten besitzen, die aber mit denen der freien Vereinigung
nicht im Widerspruch stehen dürften. Um die örtlichen Berufsvereine einander
näher zu bringen, sollten sich diese zu örtlichen Kartellen
zusammenschließen. Desgleichen sollten verwandte Berufe in
Industrieföderationen zusammengefasst werden. Auch über die Gestaltung des
zukünftigen Gesellschaftsbildes tauchten Pläne auf. An Stelle der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung sollte eine kommunistisch-
sozialistische Gesellschaft treten, innerhalb derer die Gewerkschaften zu
Trägern der zukünftigen Produktion berufen sein sollten. Daraus ergab sich
eine feindliche Stellung gegenüber dem Staate, die Ablehnung des
parlamentarischen Systems und die direkte Aktion, als deren Formen man den
Boykott, die Sabotage, den Solidaritätsstreik und endlich den Generalstreik
ansah.
Die Übereinstimmung der lokalistischen Bewegung mit der syndikalistischen
Bewegung von Amiens trat immer klarer hervor. Wenn auch ein tatsächlicher
organischer Zusammenhang mit der französischen syndikalistischen Bewegung
nicht vorhanden war, so kamen sie sich doch in ihren theoretischen
Anschauungen immer näher. Hätte die Freie Vereinigung Deutscher
Gewerkschaften schon vor dem Kriege ihr Wollen und ihr Ziel in einer
Programmerklärung niedergelegt, so hätte diese eine auffallende Ähnlichkeit
mit der „Charte d’ Amiens“ des französischen Syndikalismus aufweisen müssen.
Die Lokalisten waren sich dieser Identität der Anschauungen voll bewusst und
bezeichneten sich auch gelegentlich als Anhänger der syndikalistischen
Arbeiterbewegung. |
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Kopf der syndikalistischen Arbeiterbewegung
in Deutschland von 1897 - 1930: Fritz
Kater.
Für weitere Informationen auf das Bild klicken.
Anzeige aus dem Organ der "Freien Vereinigung
deutscher Gewerkschaften" (FVdG), "Die Einigkeit", zu einer Versammlung im
schwäbischen Göppingen. Für weitere Informationen das Bild klicken.
Kolloquium im französischen Nérac zu
"100 Jahre Charte d´Amiens", 2006. |
Organ des Syndikalistischen Industrieverbandes
für Hamburg, Altona und Umgegend, Juni 1914. Für
weitere Informationen auf das Bild klicken.
"Die Einigkeit" kurz vor ihrem Verbot 1914
Internes Periodikum als Ersatz
für die verbotene "Einigkeit"
Tote Syndikalisten während der Kämpfe um die
Münchner Räterepublik, Anzeige im "Syndikalist", 1919
Tote Syndikalisten während der Kämpfe um
die Bremer Räterepublik, Anzeige im "Syndikalist", 1919
Befreites Gebiet während
der Ruhrkämpfe 1920.
Für weitere Informationen auf das Bild klicken.
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Die Entwicklungshemmung der
lokalistisch-syndikalistischen Bewegung während des Krieges.
Die Gesinnungsfestigkeit der Freien
Vereinigung Deutscher Gewerkschaften sollte bald einer schweren Prüfung
unterzogen werden. Das drohende Gespenst eines bewaffneten Zusammenstoßes
warf schon manche Jahre vor dem wirklichen Ausbruch des Krieges seien
Schatten voraus und gab der Freien Vereinigung Veranlassung, zu diesem
Problem in antimilitaristischen und pazifistischen Resolutionen Stellung zu
nehmen und eine ihrem Standpunkt entsprechende Propaganda zu betreiben.
Schon im Jahre 1911 äußerte Yvetot als Mitglied einer französischen
syndikalistischen Arbeiterdelegation am 24. Juli in Berlin in einer Rede:
„Wenn die Regierungen es versuchen sollten, eine Nation gegen die andere in
den Kampf zu treiben, so werden wir zeigen, dass die Völker schönere
Aufgaben zu erfüllen haben. Versucht es nur einmal, ihr Schafsköpfe, und ihr
werdet sehen, ob nicht die Völker einen anderen Gebrauch von den Waffen
machen werden, die ihr ihnen in die Hand gebt“. Die Ausführungen von Yvetot
fanden allgemeine Zustimmung. Der Redner wurde freilich aus Deutschland
ausgewiesen.
Die Freie Vereinigung ließ sich aber durch solche Gewaltmaßnahmen nicht von
dem eingeschlagenen Wege abbringen. Sie veröffentlichte in ihren Organen,
der „Einigkeit“ und dem „Pionier“, Kundgebungen für den Frieden. So schrieb
„Die Einigkeit“ unter dem Titel „Krieg“: „Wer will den Krieg? Nicht das
arbeitende Volk, sondern eine nichtsnutzige Militärkamarilla, die in allen
europäischen Staaten nach kriegerischem Ruhm geizt.
Wir Arbeiter wollen keinen Krieg! Wir verabscheuen ihn, er mordet die
Kultur, schändet die Menschheit und vermehrt die Zahl der durch den
bestehenden wirtschaftlichen Krieg Verkrüppelten ins Ungeheuerliche. Wir
Arbeiter wollen den Frieden, den ganzen Frieden!
Wir kennen keine Österreicher, Serben, Russen, Italiener, Franzosen usw.
Arbeitsbruder ist unser Name! Den Arbeitern aller Länder reichen wir die
Hände, um eine Untat zu verhindern, die einen Strom von Tränen aus den Augen
der Mütter und Kinder erzeugen müsste.
Barbaren und jeder Zivilisation feindliche Menschen mögen im Kriege eine
hehre und heilige Äußerung erblicken. – Menschen mit einem fühlenden Herzen,
Sozialisten, getragen von er Weltanschauung der Gerechtigkeit, Humanität und
Menschenliebe, verachten den Krieg!
Deshalb, Arbeiter und Genossen ! Erhebt überall eure Stimme zum Protest
gegen ein im Anzug befindliches Verbrechen an der Menschheit. Es kostet den
Armen Gut und Blut, den Reichen aber bringt es Gewinn und den Vertretern des
Militarismus Ruhm und Ehre. Nieder mit dem Krieg!“
Durch ihr oppositionelles Verhalten zog sich die Freie Vereinigung die
Aufmerksamkeit der Regierung in immer stärkerem Maße zu, als der Ausbruch
des Krieges näherrückte. Am Tage der Kriegserklärung an Frankreich, am
1.August 1914, wurden an verschiedenen Orten Deutschlands, insbesondere im
Rheinlande, Anhänger der lokalistischen Bewegung aufgrund ihrer
antimilitaristischen Propaganda und wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer
staatsfeindlichen Bewegung in Schutzhaft genommen und bis zu zwei Jahren
festgehalten. Gleichzeitig wurden die Zeitungen der Freien Vereinigung für
die Dauer des Krieges verboten, zuerst „Der Pionier“ am 5. August und am 8.
August „Die Einigkeit“. Aber auch dieser Zwang und die drohende Gefahr der
Lahmlegung der ganzen lokalistischen Bewegung konnte die Freie Vereinigung
nicht veranlassen, ihren Grundsätzen untreu zu werden. An Stelle der
verbotenen Blätter gab die Geschäftskommission „Mitteilungsblätter“ und
„Rundschreiben“ heraus. Aber auch diese ereilte das Verbot des
Oberkommandierenden in den Marken, so dass die lokalistische Bewegung
jahrelang ohne jede verbindende Presse ein unterirdisches Leben zu fristen
gezwungen war.
Es gelang der Regierung trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen nicht, den
Geist, der die Anhänger der Freien Vereinigung beherrschte, noch deren
verborgene Organisation vollständig zu vernichten. Es ist sogar anzunehmen,
dass ihr mutiges Bekenntnis zur Opposition die Zahl ihrer Anhänger im
Verlaufe des Krieges anwachsen ließ, obgleich sich eine solche Vermehrung
zahlenmäßig nicht beweisen lässt. Denn je mehr sich der Krieg in die Länge
zog, umso größer wurde die Unzufriedenheit der Arbeiter über die lange Dauer
des Krieges und ihre Abneigung gegen den Krieg. Und es ist ganz natürlich,
dass sich diese unzufriedenen Elemente derjenigen Bewegung hinzugesellten,
die grundsätzlich gegen den Krieg eingestellt war und die trotz der
Unterdrückung von Seiten des Staates ihren Standpunkt in heimlich
verbreiteten Fugblättern vertrat.
Hinzu kommt noch, dass die Politik der Generalkommission der Zentralverbände
während des Krieges, die ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten, zum
Hilfsdienstgesetz und zu dem Verzicht auf das Streikrecht erteilt hatte,
also im Fahrwasser der Regierung steuerte, ihr die Arbeiterschaft teilweise
entfremdet hatte. Weiter war die Leitung von den Zentralverbänden vielfach
auf die Industrieverbände übergegangen, zum Teil hatten aber auch rein
örtliche Verbände und Betriebsorganisationen die Führung übernommen. Auch
diese oppositionellen Strömungen innerhalb der zentralistischen
Gewerkschaften tendierten zur lokalistisch- syndikalistischen Bewegung.
Rätezeit
Die Reorganisationsphase der FVDG nach
dem Ersten Weltkrieg fiel mit der Novemberrevolution zusammen. Doch daran,
wie auch an den ausgerufenen Räterepubliken in Bremen und München beteiligte
sich die Organisation als solche nicht oder nur vereinzelt regional.
Gegen die Eroberung der politischen Macht setzte die FVDG auf eine
umfassende soziale Revolution, die durch einen flächendeckenden
Generalstreik eingeleitet werden sollte, und nicht in erster Linie durch
bewaffnete Kämpfe. Dennoch beteiligten sich Syndikalisten an den Kämpfen und
ließen ihr Leben. Im Ruhrgebiet entstand 1919 eine breit gefächerte
revolutionäre Arbeiterbewegung aus Unionisten, Syndikalisten und
Parteikommunisten. Sie riefen den Generalstreik aus und produzierten in den
Gruben teilweise in Eigenregie – der 6-Stunden-Tag wurde eingeführt. Im Zuge
des Kapp-Putsches organisierte sich die sog. „Rote Ruhr Armee“, welche knapp
zur Hälfte aus Mitgliedern der FVDG/FAUD bestand.
Die Syndikalisten hatten ihre Zentren in Dortmund, Mülheim und Hamborn (hier
stellten sie die stärkste Kraft). Das Ruhrgebiet wurde vom staatlichen
Militär befreit, dennoch unterlag die Arbeiterschaft in den weiteren
Kämpfen. |
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