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Jürgen Mümken
Im Kampf gegen Hitler und Franco - Zum 25. Todestag
des Spanienkämpfers Willi Paul
Am 27. April vor 25 Jahren verstarb das FAUD- Mitglied und der Spanienkämpfer
Willi Paul. Er war bis zu seinem Tod mit der anarchistischen Bewegung tief
verbunden. Paul wurde am 1.7.1897 in Göttingen geboren. Nach einer Tischlerlehre
arbeitete er 1915/16 als Hilfs- und Metallarbeiter. Anschließend war er Soldat
im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg kam er nach Kassel und organisierte sich
zunächst in der USPD, dann in der Spartakus-Gruppe in Kassel. Als ein Teil der
Gruppe sich der im Mai 1920 gegründeten „Kommunistischen Arbeiter-Partei
Deutschlands“ (KAPD) anschloss, gründete Willi Paul mit anderen GenossInnen auf
Initiative von Josef Hodek (1876-1945) die Kasseler Ortsgruppe der FAUD. Hodek
war seit 1907 Mitglied der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVdG)
und kam ebenfalls nach dem Ersten Weltkrieg nach Kassel. In der Anfangzeit hatte
sie zwischen 20 und 30 Mitglieder, aber nach einigen internen Problemen und
Auseinandersetzungen verlor sie einige Mitglieder, bekam aber auch neue hinzu,
wie z.B. Fred Schröder, der ebenfalls in Spanien war. Paul wurde im Verlauf der
Weimarer Republik zu einer der wichtigsten Aktiven der Kasseler Gruppe. Deren
Schwerpunkt lag in der Agitation und Aufklärung der ArbeiterInnen, denn eine
Verankerung in den Betrieben besaß die Kasseler Gruppe nicht. So gehörte auch
das Zeitungsverkaufen („Der freie Arbeiter“ und „Der Syndikalist“), Flugblätter
verteilen und Veranstaltungen zu organisieren zu den wichtigsten Aktivitäten.
Beim Zeitungsverkaufen lernte Paul seine spätere Ehefrau Erna kennen. Sie war zu
diesem Zeitpunkt noch Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes (KJVD). In
den Jahren 1923/24 fingen Erna Paul, damals noch Erna Schüssler, an, sich
kritisch mit der Vorstellung einer „Diktatur des Proletariats“ auseinander
zusetzen. Es kam zu Auseinandersetzungen innerhalb der Ortsgruppe KJVD. Sie und
andere verließen die Organisation. Zur „Diktatur des Proletariats“ hatte sie
eine klare Auffassung: „Denn vom Proletariat kann keine Diktatur kommen, da kann
man nur von unten irgendwas aufbauen, aber nicht von oben“. Nachdem sie die KJVD
verlassen hatte, besuchte sie immer häufiger die Versammlungen der FAUD und
wurde schließlich 1924/25 auch Mitglied. Im Jahre 1926 heiratete sie dann ihren
Willi Paul. Im Jahre 1923 aber führte das Verkaufen der Zeitungen dazu, dass
Willi Paul wegen „Aufruf zum Generalstreik“ angeklagt wurde und in
Untersuchungshaft in die „Elwe“ (Untersuchungsgefängnis in Kassel) kam. Es war
der Höhepunkt der Inflation, die Währung im Deutschen Reich war
zusammengebrochen. Die ökonomische Situation der unteren Schichten war
katastrophal. Der „Freie Arbeiter“ brachte einen Aufruf zum Generalstreik. Willi
Paul verkaufte selbstverständlich auch diese Ausgabe auf der Straße. Dabei wurde
er von der Polizei verhaftet und kam für vier Wochen in die „Elwe“. Der Anwalt
Viktor Fraenkl erklärte im Verlauf des Prozesses dem Gericht, dass es sich bei
dem Artikel im „Freien Arbeiter“ nicht um einen Aufruf zum Generalstreik
handelte, sondern um eine Erziehung zum Generalstreik. Willi Paul wurde dann
schließlich freigesprochen. Da die wenigen Mitglieder der Kasseler Ortsgruppe
zum grossteil von Dauerarbeitslosigkeit betroffen waren, konnten sie nicht aktiv
an den Arbeitskämpfen in den Betrieben teilnehmen. Während der ganzen Zeit der
Weimarer Republik musste nur der FAUD- Genosse H. Weber während eines Streiks
von der Kasseler Ortsgruppe unterstützt werden. Er war das einzige Mitglied der
Kasseler FAUD, dass an einem Streik teilgenommen hatte, dies lag nicht an der
mangelnden Kampfbereitschaft, sondern wie schon gesagt an der andauernden
Erwerbslosigkeit vieler ihrer Mitglieder. Willi Paul z.B. war seit 1926 bis zum
Ende der Weimarer Republik erwerbslos, anderen erging es nicht besser. So war es
nur konsequent, dass die FAUD in Kassel besonders aktiv in der
Erwerbslosenbewegung war. So waren Willi Paul, Enno Wolf und Fred Schröder in
der Kasseler Erwerbslosenbewegung an führender Stelle aktiv. Es kann gesagt
werden, dass die FAUD in Kassel großen Einfluss auf die Erwerbslosenbewegung
hatte, in der sie mit der SPD und der KPD zusammenarbeitete. Am 8.7.1932 wurde
Willi Paul auf einer Versammlung der Erwerbslosenbewegung als Delegierter für
die Antifaschistische Aktion gewählt. Als Ende 1932 KPD-Mitglieder versuchten,
Nazis in den Vorstand der Erwerbslosenbewegung hineinzubringen, konnte dies u.a.
von Paul, Schröder und Wolf verhindert werden. Eine Zusammenarbeit mit
NationalsozialistInnen kam für sie nicht in Frage. Die KPD dagegen hatte in
Berlin bei Arbeits- und MieterInnenkämpfe mit den NationalsozialistInnen
zusammen gearbeitet. Gegen Ende der Weimarer Republik wurde die
nationalsozialistische Bedrohung immer deutlicher. So wurde auch in Kassel von
Mitglieder der FAUD und anderen die antifaschistische Wehrorganisation „Die
Schwarzen Scharen“ gegründet. Sie wurde in erster Linie im Jahre 1931 von Paul
initiiert. Er fungierte auch als Herausgeber der „Proletarischen Front“, Organ
der antifaschistischen Wehrorganisation und der „Schwarzen Horde“. Nach der
nationalsozialistischen Machtergreifung setzte die Kasseler Gruppe zunächst ihre
Agitationstätigkeit fort. Noch am 1. Mai 1933 verteilten sie vor dem Arbeitsamt
die hektographierte Zeitung „Die Internationale“. Nach dem Reichstagsbrand wurde
eine illegale Druckerei im Schrebergarten von Willi und Erna Paul eingerichtet,
dort wurden die illegalen Zeitungen „Die Kommenden“ und „Internationaler
Sozialismus“ hergestellt. Im März 1937 floh er nach Amsterdam und entzog sich
dadurch vermutlich seiner Verhaftung, die im Zusammenhang mit den Ermittlungen
gegen das FAUD- Mitglied Julius Nolden in Düsseldorf statt finden sollte. Willi
Paul blieb aber nur vier Wochen in Amsterdam.Über Brüssel, wo er Heinrich
Bergmann aufsuchte, machte er sich auf dem Weg nach Spanien. Am 25. April kam er
in Barcelona an. Im Zuge der Mai-Ereignisse 1937 in Barcelona wurde Paul wie
viele anderen AnarchistInnen auch von den StalinistInnen verhaftet. Da der CNT-
Ausweis erst am 5. Mai ausgestellt wurde, konnte er glaubhaft machen, zur Zeit
des Mai-Aufstandes noch nicht in Barcelona gewesen zu sein. Nach seiner
Freilassung machte sich Paul zusammen mit Paul Sammel auf, über Lerida nach
Tartienta an die Aragon-Front zu fahren. Dort kämpfte er in der Division Ascaso.
Er blieb bis zum August 1938 in Spanien.
Er verließ Spanien über Perpignan und ging nach Paris, wo er Helmut Rüdiger
besuchte. Von Paris fuhr er nach Amsterdam, wo seine Frau und seine Kinder
lebten, die im August 1937 ins niederländische Exil gingen. Dort hielt er sich
auf ohne polizeilich gemeldet zu sein. Im März 1939 kam er in eine
Polizeikontrolle und wurde interniert. Er war vom 13. März 1939 bis zum 16.
September 1939 in „Huis van Bewahring“ in Amsterdam inhaftiert. Ende August kam
eine Internierungskommission zu Willi Paul und einem kommunistischen Mitinsassen
und stellte beide vor die Wahl, sich auf eine Insel verbannen oder sich nach
Belgien abschieben zu lassen. Beide entschieden sich für Belgien. Dort bekamen
sie vom Polizeipräsidenten von Antwerpen eine Aufenthaltsgenehmigung. Als im Mai
1940 die Wehrmacht Belgien und die Niederlande überfallen hatte, mussten sich in
Belgien alle AusländerInnen melden. Willi Paul wurde dann mit anderen
AusländerInnen in eine Kaserne in Antwerpen festgehalten. Es war schon vorher
mit der französischen Regierung abgesprochen, dass in diesem Fall die
AusländerInnen mit Zügen in den Süden Frankreichs gebracht und dort interniert
werden. In Südfrankreich war er in den Internierungslagern St. Cyprien, Gurs und
Vernet, bevor er im Mai 1942 an die Gestapo ausgeliefert wurde, und ins Deutsche
Reich verbracht wurde. In einem Prozess vor dem Oberlandesgericht in Kassel
wurde er zu sechs Jahren verurteilt. Seine Haft sollte er in Ziegehain (heute
Schwalmstadt) absetzen. Während der Haft wurde er ins Strafbataillon 999
gezwungen. Dort war er vom Juli 1943 bis zu seiner Gefangenennahme durch die
US-Army am 25.3.45 inhaftiert.
Im Februar 1946 wurde aus der Kriegsgefangenschaft entlassen und kehrte nach
Kassel zurück. Er begann mit der Reorganisierung seines politischen wie privaten
Lebens. Er trat der Deutschen Postgewerkschaft bei, schrieb für ihre Zeitung und
beteiligte sich an der Gründung der „Föderation Freiheitlicher Sozialisten“
(FFS). Die Gründung der FFS sollte für Willi Paul wie für die meisten ehemaligen
FAUD- Mitglieder, die sich in der FFS engagierten keine FAUD- Neugründung sein.
In einem Brief an Alfred Leinau (1902-1983) vom 2.3.1947 schrieb er, die FFS
sollte, „keine neue Partei sein, sondern eine unabhängige nicht staatsgebundene
Organisation - die das wachsame kontrollierende Auge des Volkes darstellt im
gesamten gesellschaftlichen Leben“ (zitiert nach: Degen 2002, 62f). Im Vorfeld
der FFS-Gründung wurden zwei programmatische Entwürfe diskutiert, die von Willi
Paul und Heinrich Drewes (1873-1959). Ende 1946/Anfang 1947 formulierte Paul
seine Vorstellung in dem Text „Entschiedene antimilitaristische
sozialistisch-demokratische Aktion. Bund freiheitlicher Föderalisten“. Darin
formulierte er seine antizentralistischen, radikal-föderalistischen
Vorstellungen, in denen der Föderalismus „die gegebene gesellschaftspolitische
Form menschlichen Zusammenschlusses“ war. Die „freiheitliche föderale
sozialistische Demokratie“, die sich Willi Paul vorstellte, kannte kein
Vertretungssystem, die völlige Freiheit war unabdingbar für eine sozialistische
Gesellschaft. Auf dem schon erwähnten Gründungskongress wurde auch kurz eine
„Prinzipienerklärung“ („Gegenwart- und Zukunftsausgaben der Föderation
Freiheitlicher Sozialisten Deutschlands“. Eine Abschrift dieses „Entwurfes“
befindet sich im Privatarchiv von Hans-Jürgen Degen) der Kasseler Ortsföderation
der FFS diskutiert. Im Mittelpunkt des Kongresses standen aber programmatische
Leitsätze, die von AnarchosyndikalistInnen aus den Rhein-Main-Gebiet vorgelegt
wurden. Formuliert hatte diese Georg Hepp, der dann auch den Auftrag bekam, die
Ziele und Aufgaben des FFS für den 2. FFS-Kongress im Mai 1948 zu präzisieren).
In den 70er Jahren schrieb Willi Paul einige Artikel für das Zeitungsprojekt,
das zunächst „neues beginnen“ hieß, dann „Zeitgeist“ und schließlich von der „Akratie“
abgelöst wurde. Die mir vorliegenden Artikel beschäftigen sich in erster Line
mit Israel und der RAF. Aber er schrieb auch 1971 einen Artikel zum Gedenken an
Rosa Luxemburg: „Spontanität ist immanent lebendiger Geist ist kritisches,
undogmatisches Denken. Mit diesem Vermächtnis Rosa Luxemburgs treten wir
zielbewusst in die gewaltlose, lebendige Phase der Evolution, um die gute Saat
der Wahrheit des menschlichen Sozialismus in die von Erosion bedrohte Erde zu
bringen“ („neues beginnen“, Nr. 11 Mai/Juni 1971). Er kritisierte nicht nur die
Gleichsetzung RAF/Anarchismus, sondern auch die Zusammenarbeit der RAF mir
nationalen Befreiungsbewegungen und vor allem mit den
„militant-national-revolutionären Fedayins“, die Anschläge gegen Israel planen
und ausführen. Er lehnt den positiven Bezug auf nationale Befreiungsbewegungen
grundsätzlich ab. Er schreibt: „Wie ein Phantom geistert der Nationalismus der
Völker von Generation zu Generation und schreibt ihre blutige Geschichte“ („Zeitgeist“,Nr.
16 Januar/Februar 1974).
Im Jahre 1978 reiste Willi Paul zusammen mit Fred Schröder noch einmal nach
Barcelona, um sich vor Ort über die CNT zu informieren. Willi Paul war damals
begeistert von der Stimmung und Situation in Barcelona, wie dies seine
Ausführung in einem Brief an Hans Jürgen Degen vom 18.8.78 deutlich macht: „Die
CNT hat wohl den größten propagandistischen Einfluß auf die Stadt, das
bestätigen ganze Häuserwände von Plakaten der CNT und AIT wie in der breiten
Geschäftsstrasse Via Layetana (...) Alle Orte die wir mit dem Bus nach Barcelona
durchfuhren, wie die Industriestadt Sabadell, waren überall mit Parolen und
Plakaten der CNT beschriftet und sogar in Lloreto de Mar waren die CNT-Leute
tätig. Auch konnte man hier die Soli („Solidaridad Obrera“, Anm. jm) kaufen.
(...) Wir verabredeten uns um 17 Uhr im anarchistischen Lokal einer engen Calle
im Wario Chino zu treffen. So heißt dieses ganze Wohnviertel in der Nähe vom
Hafen. Abends ist das ganze Volk in den engen Gassen, ein wirklich spanisches
Leben, so etwas interessantes gibt es nirgends in den Städten Europas. Dort
traut sich selbst die Polizei nicht hin. Und das Lokal, düster wie eine
Verschwörerhöhle, war einmalig mit Plakaten der CNT und AIT ausgestattet.
(...) Man wusste nur über die Mitgliedschaft der Metallarbeiter, die allein in
Barcelona über 10.000 Mitglieder hatte. (...) Wir haben kein Zweifel, dass die
CNT letztlich die entscheidende revolutionäre und soziale Bewegung der
spanischen Arbeiterschaft sein wird. Das spanische Volk ist anarchistisch“. Wie
wir heute wissen, war Willi Paul in bezug auf die ArbeiterInnenbewegung und die
Anziehungskraft des Anarchismus und Anarchosyndikalismus in Spanien viel zu
optimistisch.
Am 27. April 1979 starb Willi Paul, seine Frau Erna Paul wurde am 8. Mai 1989
vom damaligen Oberbürgermeister Hans Eichel mit der „Stadtmedaille“ der Stadt
Kassel für ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus ausgezeichnet. Bis zu
ihrem Tod waren Willi und Erna Paul der anarchistischen und libertären Bewegung
verbunden und hielten Kontakt u.a. mit Martha Wüstemann (1908-1992), Helmut
Rüdiger (1903-1966) und Otto Reimers (1902-1984).
Aus direkte aktion Nr. 163
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