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Martha Wüstemann 17.6.1908 – 28.9.1992
Als Teilnehmerin im Spanischen Bürgerkrieg tauchte sie unter dem Namen Martha
Lewin gelegentlich in anarchosyndikalistischen Zusammenhängen auf. In jüngerer
Zeit gab sie unter dem Namen Julia Alino gelegentlich etwas über ihre
Erfahrungen und Erlebnisse preis. Ein tiefsitzendes Misstrauen gegen die
deutschen Behören ließ sie jedoch sehr vorsichtig mit Veröffentlichungen zu
ihrer Vergangenheit umgehen.
Aufgewachsen in Leipzig gehörte sie der dortigen anarchosyndikalistischen Jugend
an. Sie heiratete den Leipziger Anarchosyndikalisten Arthur Lewin, mit dem sie
eine Tochter hatte. Seit Februar 1929 arbeiteten Martha und Arthur Lewin
gemeinsam mit Paul und Gees Helberg zusammen in einer Düsseldorfer Druckerei,
die für die FAUD drucke. Lewin gehörte dem Vorstand der Arbeiterbörse an. 1932
ließen sich Martha und Arthur offiziell scheiden, um im Falle weiterer
Judenverfolgungen den Druck von Martha und der Tochter zu nehmen. Lewin verließ
1933 Deutschland und ging nach Spanien, Martha folgte ihm mit dem Kind ein Jahr
später. Im spanischen Exil beteiligte sie sich an der Gruppe DAS (Deutsche
Anarchosyndikalisten), der Nachfolgeorganisation für die aufgelöste und
verbotene FAUD mit Gruppen in Schweden, Frankreich, den Niederlanden und
Spanien. Die DAS betätigte sich nach Ausbruch der Revolution im Juli 1936 sofort
aktiv an den Ereignissen in Barcelona. (Martha: „Die ersten beiden Nächte wurde
nicht geschlafen.“) Aufgabe der DAS wurde es, die in Barcelona anwesenden
Deutschen auf ihre Naziaktivitäten hin zu überprüfen und die hereinströmenden
Freiwilligen zu kontrollieren. Dies geschah in enger Zusammenarbeit mit der CNT,
die die Grenzkontrolle zu Frankreich und die Hafenkontrolle in Barcelona
ausübte. Zum Verdruß der KP übrigens, die deshalb die Interbrigadisten nicht in
Barcelona an Land gehen ließ und auch keine sowjetischen Waffen dort löschte.
Die Gruppe DAS übernahm auf diese Weise eine politische Verantwortung und übte
politischen Einfluß aus, der weit über die zahlenmäßige Stärke der Gruppe
hinausreichte.
Für die CNT führte Martha Lewin eine kollektivierte deutsche Buchhandlung in
Barcelona, über die auch die Zeitschrift der Gruppe DAS „Soziale Revolution“
oder das Schwarzrot-Buch, das die Querverbindungen der Nazis in Spanien offen
legte, ins Ausland vertrieben wurde (z.B. in die Schweiz zu Fritz Brupbacher).
Die spanischen Mitarbeiter der Buchhandlung gehörten zur sozialistischen
Gewerkschaft UGT, die Buchhandlung war jedoch von Anarchosyndikalisten
übernommen worden, so dass Martha CNT-Mitglied wurde und auch die Vorstellungen
der CNT in ihrem Bereich umzusetzen versuchte.
Nach den Maitagen 1937, bei denen es zur Konfrontation zwischen Kommunisten und
Polizei einerseits und Anarchisten und POUMisten (marxistische Oppositionelle)
andererseits gekommen war, wurden nahezu alle ausländischen Anarchisten
verhaftet. Sie wurden die ersten anarchistischen Opfer einer politischen
Situation, in der die spanische CNT politischen Einfluß verloren hatte, aber
noch zu groß war, um von der KP direkt angegangen zu werden. Martha wurde in
ihrer Buchhandlung festgenommen, ihr Kind konnte sie mit einem Brief und einer
Busfahrkarte ausgestattet zu Freunden schicken. Ihr erster Aufenthaltsort war
das kommunistische Geheimgefängnis in der berüchtigten Puerta del Angel, deren
ehemaliger Weinkeller als Folterkeller diente. Ironischerweise stand bei ihrer
Einlieferung ein CNT-Milizionär vor dem Haus Wache, in der Meinung, er würde
„Faschisten“ bewachen. In ihrer Wohnung wurde in der Zwischenzeit alles
beschlagnahmt. Als der kommunistischen Tscheka dieses Gefängnis zu „heiß“ wurde,
und sie eine Operation der anarchistischen FAI befürchten mussten, beschlossen
sie, die Insassen umzuquartieren. Die Frauen im Gefangenenwagen beschlossen, so
wie sie auf einer öffentlichen Strasse seien, ein großes Geschrei anzufangen und
erreichten so, dass sie notgedrungen in ein offizielles Frauengefängnis
überführt werden mußten, dessen Leiterin zudem – zu diesem Zeitpunkt schon
verwunderlich – ein Mitglied der POUM war. Kurz nach einer Initiative Emma
Goldmans zugunsten Katja Landaus (der österreichische Trotzkist Kurt Landau war
in diesen Tagen von der Tscheka umgebracht worden) bei der Katja Landau auf
Martha aufmerksam gemacht hatte, wurde Martha freigelassen. Ihre Papiere waren
allerdings von der Tscheka einbehalten worden, so dass sie ab diesem Zeitpunkt
illegal in Spanien leben mußte und später – bei ihrer Flucht aus Spanien – ohne
Papiere an die französische Grenze gelangte. Nur ihrem „Aufstand“ an der Grenze
verdanke sie es, dass sie der Internationalen Flüchtlingskommission übergeben
wurde anstatt – wie üblich – nach Spanien zurückgeschickt zu werden. Ab 1938
lebte Martha in Paris, besuchte die dortige Gruppe DAS, die jedoch nach der
Niederlage in Spanien und nach persönlichen Streitereien nur noch eine
Schattenexistenz fristete. Es wurden noch Unterstützungsgelder der
Schwesterorganisationen für die Mitglieder organisiert und die an der
französischen Grenze internierten Genossen unterstützt. Martha begann als
Schneiderin zu arbeiten. Es gab eine kleine anarchistische Kolonie von
Exilbulgaren, die sich als Schneider organisiert hatten. Während der deutschen
Besatzung wich sie mit ihrer Tochter in ein abgelegenes Kinderheim außerhalb von
Paris aus und überlebte dort. Nach dem Krieg ging sie für lange Jahre nach
Südafrika, wo sie wiederum als Schneiderin ihr Auskommen fand. In den letzten
Jahren lebte sie in München, wo sie in den 70ern auch Augustin Souchy wiedertraf,
mit dem es in Spanien wegen der Aktivitäten der Gruppe DAS häufig Spannungen
gegeben hatte. Souchy wollte von einer eigenständigen Organisierung der
deutschen Anarchosyndikalisten in Spanien nichts wissen, er verlangte eine
Eingliederung, die nicht allen so möglich war, wie ihm selbst.
Wolfgang Haug
Aus Schwarzer Faden, Heft 4 (1992)
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