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Fritz Linow

Kollektivvertrag und direkte Aktion

„Nach langen Debatten und unzähligen Vertagungen ist am 23. Dezember 1926 das Arbeitsgerichtsgesetz vom Deutschen Reichstag verabschiedet worden. Die nach diesem Gesetz zu schaffenden Arbeitsgerichtsbehörden haben dann am 1. Juli 1927 ihre Tätigkeit aufgenommen und damit die alten Gewerbegerichte abgelöst. Im Gewerbegerichtsgesetz war die Frage der Vertretung der Parteien in wesentlich anderem Umfange geregelt, als das im Arbeitsgerichtsgesetz der Fall ist. Die alten Institutionen für die Regelung und Beilegung von Streitigkeiten aus dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis fußten in Hinsicht auf die Vertretung der streitenden Parteien auf der Gesetzesbestimmung, nach welcher die Parteivertreter das Verhandeln vor dem Gewerbegericht nicht geschäftsmäßig betreiben dürfen und daß Rechtsanwälte zur Parteivertretung nicht zugelassen sind. Diese Version behielt das Arbeitsgerichtsgesetz bei und faßte darüber hinaus die Parteivertretung schärfer. Denn der § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes bestimmt, daß zur Vertretung der Parteien zugelassen sind die Mitglieder oder Angestellten von wirtschaftlichen Vereinigungen bzw. von Verbänden, die mehrere wirtschaftliche Vereinigungen umfassen. Damit war in den angeführten Paragraphen eine Bestimmung aufgenommen, die heute, nach dreijähriger Arbeitsgerichtspraxis, noch ebenso mysteriös ist wie in den ersten Tätigkeitsmonaten dieser neuen Behörden.

Bei der Begründung über die Notwendigkeit neuer arbeitsgerichtlicher Institutionen wurde von den Reformfreunden ganz besonders auf die veränderten arbeitsrechtlichen Verhältnisse hingewiesen und betont, daß die Gewerbegerichte dem Umfange der Arbeitsstreitigkeiten nicht mehr genügen, daß sie ferner in ihren gesetzlichen Fundamenten auf Arbeitsrechtsbestimmungen basieren, die veraltet sind oder Tendenzen angenommen haben, die mit dem Gewerbegerichtsgesetz kollidieren. Zur Begründung des Arbeitsgerichtsgesetzes wurde ferner betont, daß der ganze Inhalt des Arbeitsrechts eine grundsätzliche Wandlung durchgemacht hat, die es durchaus rechtfertigt, eine neue Form der Entscheidungsbehörden einzurichten. Daß bei diesen Erwägungen auch machtpolitische Faktoren eine Rolle spielten, sei nur nebenbei erwähnt. Für die Reformfreunde im Lager der Sozialdemokratie und der freien Gewerkschaften kam neben den machtpolitischen Faktoren noch ein anderes Moment in betracht, nämlich die gesetzliche Sanktionierung der bisher geübten Tarifpolitik und damit die rechtliche Beeinträchtigung derjenigen Arbeiterkreise, denen der Burgfrieden, die Arbeitsgemeinschaftspolitik und die ganze reformistisch-wirtschaftsdemokratische Betätigung der freien Gewerkschaften nicht das no plus ultra des Klassenkampfes ist.

Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man behauptet, daß der § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes seine Fassung aus der Erwägung der gesetzgebenden Körperschaften erhielt, daß ein Monopolrecht für die Parteivertretung geschaffen werden muß, das dieses Monopolrecht nicht nur die arbeitsrechtliche Gesetzgebung, sondern auch die wirtschaftspolitische Funktion der Arbeitsgerichte vereinfacht und erleichtert. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß der § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes tatsächlich ein Monopolrecht für die gewerkschaftlichen Spitzenverbände und ihre örtlichen Vereinigungen schuf, denn der Begriff ‚wirtschaftliche Vereinigung’ war ein Fallstrick, der fast alle anderen gewerkschaftlichen Richtungen zur Strecke brachte, d.h. aus dem Kreis der Vertretungsberechtigten ausschloß. Für die freien Gewerkschaften als die stärksten Organisationen der sogenannten Spitzenverbände wurde aus dem Begriff „wirtschaftliche Vereinigung“ die Waffe, mit deren Hilfe man die unliebsame Konkurrenz linker wirtschaftspolitischer Gruppierungen der Arbeiterschaft aus dem Feld zu schlagen bestrebt ist. Das Arbeitsgerichtsgesetz hat hier eine Begünstigung geschaffen, die nicht stark genug berannt werden kann, zumal eine Klarheit darüber, was unter dem Begriff ‚wirtschaftliche Vereinigung’ zu verstehen ist, bis heute keineswegs erzielt wurde.

Die offiziellen Auslassungen aus der Zeit der Beratung des Gesetzes reden davon, daß die Vereinigung wirtschaftlich ist, welche über Tariffähigkeit verfügt. Unter Tariffähigkeit wiederum will man verstanden wissen die arbeitsrechtliche Fähigkeit, Träger tariflicher Rechte und Pflichten zu sein, und betont, daß die Tariffähigkeit abhängt von der tatsächlichen Unabhängigkeit der Vereinigung vom anderen Partner. Ferner gelten für den Begriff Tariffähigkeit, soweit sie in der Arbeitsrechtsliteratur und in der arbeitsrechtlichen Spruchpraxis geklärt sind, die Grundsätze, daß die Vereinigung, die Anspruch auf Tariffähigkeit erhebt – soweit die Arbeitnehmerseite ein Frage kommt – ausschließlich aus Arbeitnehmern eines Berufes oder eines Industriezweiges besteht;

auf die Dauer begründet und vom Wechsel der Mitgliedschaft unabhängig ist;

nur von Arbeitnehmern geleitet wird und Beiträge erhebt, deren Höhe hinreicht, um die Interessen der Mitgliedschaft wirksam sowohl wirtschaftlich als sozial zu vertreten;

den Streik als Kampfmittel zur Erreichung ihrer eben genannten Zwecke satzungsgemäß erkennt, wenn alle anderen Mittel versagen;

auf Grund der Satzungen ihren Mitgliedern bei Streik, Aussperrung oder Maßregelung Unterstützung gewährt.

Zu dem unter Ziffer 1 angeführten Grundsatz ist noch zu bemerken, daß auch mehrere berufliche oder industrielle Vereinigungen sich zusammentun können und dann als Verband wirtschaftlicher Vereinigungen gelten, dem nach der Fassung des § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes Vertretungsberechtigung für die Mitglieder des Verbandes zugestanden ist.

Wendet man sich nun nach dieser geschichtlichen und grundsätzlichen Betrachtung der Wirklichkeit zu, dann fällt auf, daß die arbeitsrechtlichen Folgerungen aus dem Begriff ‚wirtschaftliche Vereinigung’ den gegenwärtigen Machtverhältnissen entsprechen und durchaus nicht in der Richtung liegen, welche soeben aufgezeichnet wurde. Wohl haben sich in vieljährigem Wirken für die verschiedenen Gebiete des Arbeitsrechts Grundsätze herausgeschält, daß aber diese Grundsätze beliebig gedreht, gedeutelt und auch ganz außer acht gelassen werden, beweist die am 31. Mai 1930 gefällte Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts in Leipzig. Die an diesem Tage verhandelte Revision gegen ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Duisburg wegen der Vertretungsberechtigung der Freien Arbeiter-Union Deutschlands wurde zurückgewiesen, trotzdem die FAUD zweifelsohne alle Voraussetzungen erfüllt, die hier für die Vertretungsberechtigung aufgezählt worden sind.

Da das Urteil im Wortlaut noch nicht vorliegt, kann gegen den juristischen Inhalt erst später polemisiert werden. Im Augenblick soll nur ein wesentlicher Punkt der mündlichen Urteilsbegründung hier besprochen werden.

Die klageabweisende Entscheidung stützt sich nämlich in der Hauptsache auf die Feststellung, daß die von der syndikalistischen Gewerkschaftsbewegung empfohlene Methode der „direkten Aktion“ der Möglichkeit der Innehaltung eines Tarifvertrages entgegensteht. Der entscheidende Senat des Reichsarbeitsgerichts stellt sich auf den Standpunkt, daß die ‚direkte Aktion’ den Tarifvertrag ausschließt, da ihr vornehmstes Merkmal die unausgesetzte Selbsttätigkeit der Arbeiter ist, wohingegen der Tarifvertrag nach herrschender Auffassung dem Zwecke des wirtschaftlichen Friedens zwischen den Tarifparteien für die Dauer des Tarifvertrages dient.

Es ist also in erster Linie zu untersuchen, ob die ‚direkte Aktion’ tatsächlich dem kollektiven Arbeitsvertrag entgegensteht.

Historisch gesehen ist der Kollektivvertrag eine höhere Form des Arbeitsvertrages als der Individualvertrag. Kein sozialistisch denkender Arbeiter will zum Individualvertrag zurück. Der Anarchosyndikalismus wendet sich in seinem Kampf gegen die heutige Form der Lohnregelung oder der Regelung der Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen auch nicht gegen das kollektive Zusammenwirken der Arbeiter eines bestimmten Berufszweiges oder einer ganzen Industrie mit der Zielsetzung, einen Tarifvertrag abzuschließen, sondern gegen die den Kollektivvertrag von außen her aufgezwungenen bzw. angehängten rechtlichen Konsequenzen. Würde er den Kollektivvertrag als solchen bekämpfen, dann hörte der wirtschaftliche Klassenkampf, das Ringen der Arbeiter um eine höhere Beteiligung an den Erfolgen der kapitalistischen Gütererzeugung und Güterregulation überhaupt auf, dann hätte weiter das hohe ethische Ideal der proletarischen Solidarität im Wirtschaftskampf gar keinen Sinn mehr, da diese Solidarität dann keine Richtung und kein Ziel besäße, praktisch also zur Farce geworden wäre. Im Wirtschaftskampf aber, wo Arbeiterschaft und Unternehmertum direkt gegenüberstehen, ist der Kollektivvertrag das Gefäß, welches die Erfolge oder Mißerfolge der Kämpfer dieser beiden Gruppen auffängt. Am Ende des Kampfes um höheren Lohn, kürzere Arbeitszeit oder bessere Arbeitsbedingungen steht die Vereinbarung der streitenden oder kämpfenden Parteien: der Kollektivvertrag. Wäre es nicht so, d.h. würden, wenn der Kampf zu einem Abschluß gelangt ist, die kämpfenden Arbeiter auf den Kollektivvertrag verzichten, dann ständen sie in Hinsicht auf den materiellen Inhalt ihres persönlichen Arbeitsvertrages, also ihres Arbeitsverhältnisses, dem Unternehmer einzeln gegenüber. Gunst oder Fähigkeit wären dann die Faktoren der Lohnbildung oder die Elemente, welche Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen bestimmen.

Einen solchen Rückschritt in die vergangenen Jahrhunderte wollen weder der Anarchosyndikalismus als Weltanschauung noch die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften als proletarische Kampforgane. Rein taktisch gesehen ist es vielmehr das Streben des Anarchosyndikalismus, das kollektive Zusammenwirken der Arbeiter gerade auf ökonomischen Gebiet zu forcieren. Dabei hat der Kollektivvertrag – und diese Gefahr macht den Anarchosyndikalismus nur vorsichtig – jene ungeheuren Mängel und rechtlichen Konsequenzen, die zu seiner Mißkreditierung nicht zuletzt beigetragen haben. Der Kollektivvertrag bedeutet vom Standpunkt des revolutionären Klassenkampfes aus ständiges Abschließen von Waffenstillständen zwischen den beiden großen Gegensätzen Kapital und Arbeit. Aus diesen Waffenstillständen leitet nun das geltende Arbeitsrecht und auch das Reichsarbeitsgericht die Formel ab, daß die direkte Aktion dem Kollektivertrag entgegensteht, denn Waffenstillstand bedeutet ja nach herrschender Meinung Einstellung der beiderseitigen Feindseligkeiten für die Lauffrist des Vertrages. Diese Auffassung ist aber soziologisch gesehen vollständig irrig, denn der Kollektivvertrag gibt ja nicht die bestehenden Gegensätze auf, ganz im Gegenteil, er verschärft dieselben, weil die Arbeiter immer stärker von der Erkenntnis durchdrungen werden, daß es nicht genügt, ständig um Prozente und Minuten zu feilschen, sondern notwendig ist, den ganzen Wirtschafts- und Gesellschaftsapparat selbst zu übernehmen. Der Kollektivvertrag schafft nur für kurze Zeit auf einem zwar wichtigen, aber nicht umfassenden Teilgebiet Waffenstillstand, auf allen übrigen Gebieten aber geht der Kampf um die Veränderung der gesellschaftlichen Struktur weiter.

Diese Tatsache läßt sowohl das Arbeitsrecht außerhalb aller Betrachtungen als auch das Arbeitsgericht. Diese Tatsache aber ist es, die der „direkten Aktion“ überhaupt erst Sinn und Verstand gibt, denn der Kampf auf allen anderen Gebieten des sozialen Lebens spielt sich ja nicht losgelöst von der Wirtschaft ab, sondern beeinflußt diese und zwingt sie trotz Waffenstillstand und Tarifvertrag in den Strudel des gesellschaftlichen Revolutionierungsprozesses. Hier ist es die direkte Aktion, die die tatsächlichen Machtverhältnisse herauszuschälen hat.

Die direkte Aktion läuft aber nicht dem kollektiven Zusammenwirken der Arbeiter bestimmte Berufe oder Industrien zuwider, die mit diesem Zusammengehen eine für ihren Kreis einheitliche und von ihrer Gesamtheit bestimmte Arbeitsgrundlage schaffen wollten. Sie ist vielmehr der Versuch, den erstrebten Zweck in kürzester Zeit zu erreichen. Direkte Aktion bedeutet doch nicht sinnlose Verzettelung der auf ein einheitliches Ziel eingestellten Kräfte, sondern Zusammenfassung dieser Kräfte, um direkt, d.h. unter Ausschaltung aller komplizierenden Faktoren das gesteckte Ziel schnellstens zu realisieren. Welche Formen der Klassenkampfmethoden im Einzelfalle angewendet werden, ist im voraus überhaupt nicht zu bestimmen. Während der Geltungsfrist des Tarifvertrages ist aber die direkte Aktion kaum ein Hindernis, wenn der Vertrag, an kurze Lauffristen gebunden, eine ständige Revidierung auf der Grundlage des Machtverhältnisse ermöglicht. Die direkte Aktion soll nach Ansicht des Anarchosyndikalismus die Arbeiter den Unternehmern gegenüber in Vorteil setzen. Direkte Aktion ist eine Maßnahme, die dem Gegner nicht Zeit läßt, den Widerstand vorzubereiten, die überraschend, beispielsweise schon am Tage nach dem Ablauf des Tarifvertrages, in Kraft gesetzt wird, indem die Arbeiter sofort den Ausstand erklären. Direkte Aktion ist auch vornehmlich Massenaktion, also Aktion aller oder doch der Mehrheit, um den erstrebten Zweck zu ermöglichen. Als Einzelaktion fällt sie kaum ins Gewicht und kann bei der Betachtung ‚direkten Aktionen und Kollektivvertrag’ ruhig übergangen werden.

Aus dieser Betrachtung ergibt sich, daß es keineswegs richtig ist wenn das Reichsarbeitsgericht zwischen Kollektivvertrag und direkter Aktion einen Gegensatz konstruiert, der im praktischen Leben gar nicht vorhanden ist. Bei Prüfung der Einstellung der Freien Arbeiter-Union Deutschlands zum Kollektivvertrag hätte also das Reichsarbeitsgericht zu einem anderen Entscheid kommen müssen, wenn nicht die eingangs erwähnten machtpolitischen Faktoren für das Reichsarbeitsgericht ausschlaggebend gewesen wären. Es handelte sich für das Reichsarbeitsgericht nicht darum, zu prüfen, ob der willkürlich konstruierte Gegensatz tatsächlich vorhanden ist, sondern darum, im Rahmen der heutigen Tarifbetätigung zu entscheiden, um auf diese Weise alle Kräfte niederzuhalten resp. zu behindern, welche eine Änderung im praktischen wie juristischen Leben herbeizuführen gedenken.

Damit, daß das Reichsarbeitsgericht in dem geschildertem Sinne entschied, ist der Kampf um die Vertretungsberechtigung selbstverständlich nicht beendet. Dieser Kampf geht weiter. Wollten die syndikalistischen Gewerkschaften sich mit der Entscheidung begnügen, dann würden sie damit die willkürliche Konstruierung des Gegensatzes ‚Direkte Aktion und Kollektivvertrag’ anerkennen und ihrer eigenen Auffassung vom gewerkschaftlichen Kampf ins Gesicht schlagen. Im allgemeinen aber wird sich die obengegebene Ansicht der Stellung des Anarchosyndikalismus zur direkten Aktion und zum Kollektivvertrag mit der herrschenden Meinung der Gesamtbewegung decken. Die direkte Aktion ist im Gegensatz zu den Methoden der freien Gewerkschaften der Versuch oder besser gesagt der Wille, die Entscheidung und Lösung der sozialen Probleme aus der Sphäre des Advokatentums in das praktische Leben zu stellen. Sie will ausschlaggebend für den sozialen Entwicklungsprozeß oder für den materiellen Lebensstandard der Arbeiter nicht mehr des politische und gewerkschaftliche Schwätzertum sein lassen, sondern die sozialen Triebkräfte selbst. Auf keinem anderen Gebiete aber sind die sozialen Triebkräfte der Arbeiterklasse mehr gebunden als auf dem der Wirtschaft. Die direkte Aktion will diese willkürlichen Bindungen sprengen und größtmögliche Freizügigkeit schaffen. Mit ihrer Hilfe soll die Arbeiterschaft für sich die Meistbegünstigung erringen. Das ist die Psychologie der direkten Aktion. Auf keinen Fall schließt sie den Kollektivvertrag aus. Sie stellt das wirtschaftliche Kräfteverhältnis lediglich wieder auf die Füße, indem sie dem Unternehmertum das Vorrecht der Meistbegünstigung entreißt. So betrachtet ist die direkte Aktion gar nichts anderes als eine von der sozialen und ökonomischen Vernunft der Arbeiterklasse diktierte Methode im gesellschaftlichen Ringen. Der Kollektivvertrag ist auch eine Methode im wirtschaftlichen Ringen zwischen Arbeiterschaft und Unternehmertum und wird gegenwärtig einseitig zugunsten der Unternehmerschaft gegen die Arbeiter angewendet. Der Kollektivvertrag in seiner augenblicklichen Form macht das Unternehmertum zum Meistbegünstigten. Staat, Gerichte, Gesetzgebung usw. schaffen diese Meistbegünstigung und legen der Arbeiterschaft Fesseln an. Diese Folgen kommen aus der Betätigung der freien Gewerkschaften, aus den herrschenden Rechtsverhältnissen und aus den Methoden, die die Arbeiterschaft von vornherein ins Hintertreffen bringen. Es ist aus diesem Grunde das Drum und Dran, welches der Anarchosyndikalismus bekämpft, nicht der Kollektivvertrag an sich. Bisher aber ist es keineswegs üblich gewesen, daß eine Geistesrichtung oder eine auf die materielle Hebung der Lage ihrer Mitgliedschaft bedachte Bewegung unbesehen schlucken muß, was sich als Folge einer bestimmten Entwicklung heraus kristallisierte. Jeder Richtung stand und steht bis heute noch frei, den Verhältnissen kritisch gegenüberzustehen und Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, den Gegenstand der Kritik zu verändern. Auch für den Kollektivvertrag trifft dies zu. Eine Richtung in der Gewerkschaftsbewegung ist nicht deshalb schon von den schmalen Rechten unserer Zeit ausgeschlossen, weil sie kritisch einer bestimmten Einrichtung gegenübersteht. Ganz im Gegenteil: der geübte Kritizismus spielt für die Beurteilung ob z.B. die Freie Arbeiter-Union Deutschlands willens ist, Kollektivverträge abzuschließen, eine untergeordnete Rolle. Wichtig ist vielmehr, ob überhaupt von einem solchen Willen gesprochen werden kann. Dieser ist aber zweifellos. Unter diesen Umständen kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß die Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts vollständig daneben schlägt.“

Aus: „Die Internationale“, Nr. 9/1930, abgedruckt in: FAU-Bremen (Hg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven. Ergänzungsband, Bremen 2006

 

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