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Peter Kropotkin
Die Freie Vereinbarung
Durch erhebliche Vorurteile, durch falsche Erziehung und Belehrung gewöhnt,
überall nur die Regierung, die Gesetzgebung und die Magistratur zu sehen, sind
wir zu dem Glauben gekommen, daß die Menschen sich wie wilde Tiere zerreißen
würden an dem Tage, wo der Polizist nicht mehr sein Auge auf uns gerichtet hält,
daß das Chaos eintreten würde, wenn die Autorität in einer Sturmesflut versinken
würde. Und doch stehen wir, ohne uns dessen bewußt zu werden, tausend und
abertausend menschlichen Gruppierungen gegenüber, die sich in freier Weise
gebildet haben und bilden – ohne die Intervention eines Gesetzes, und die
unendlich viel Höheres vollbringen, als solche, die unter gouvernementaler
Oberherrschaft zu Stande kommen.
Schlagt eine täglich erscheinende Zeitung auf. Ihre Seiten sind fast einzig den
Regierungsakten, dem politischen Ränkespiel gewidmet. Beim Lesen einer solchen
würde ein Chinese glauben, daß in Europa nichts ohne den Befehl eines Herrn
geschieht Zeiget mir in derselben etwas, welches das Entstehen und Wachsen
irgend welcher Institutionen behandelt, ohne daß es auf ministerielle Erlasse
zurückgeführt würde! Nichts, rein gar nichts werdet Ihr finden! Wenn es selbst
in dem Blatte eine Rubrik „Verschiedenes“ gibt, so kommt das nur daher, weil
dieses „Verschiedenes“ in irgend einem Zusammenhang mit der Polizei steht. Ein
Familiendrama, ein Empörungsakt wird nur erwähnt, wenn die Stadtsergeanten
(Polizei) dabei in Tätigkeit traten.
350 000 000 Europäer lieben oder hassen sich, arbeiten oder leben von ihren
Renten, leiden oder genießen. Doch ihr Leben, ihre Handlungen (abgesehen von der
Literatur, vom Theater, vom Sport), alles wird in den Journalen ignoriert, wenn
nicht die Regierungen in der einen oder anderen Weise sich eingemengt hatben.
Ebenso verhält es sich mit der Geschichte. Wir kennen die geringsten
Einzelheiten aus dem Leben eines Königs oder Parlaments; man hat uns alle Reden
aufbewahrt, gute wie schlechte, die in den Parlamenten gehalten wurden, „die
indes nie einen Einfluß auf die Abstimmung eines Mitgliedes ausgeübt haben“ ,
wie uns ein alter Parlamentarier versichert hat Die Besuche der Könige, die gute
oder schlechte Laune des Politikers, seine Wortspiele und seine Intrigen, alles
dieses wird der Nachwelt sorgsam überliefert. Aber wir haben undenkliche Mühe,
um uns über das Leben einer mittelalterlichen Stadt zu unterrichten, jenen
Mechanismus des ungeheuren Tauschhandels, der zwischen den Hansestädten
stattfand, kennen zu lernen, oder zu erfahren, in welcher Weise die Stadt Rouen
ihre Kathedrale erbaut hat Wenn ein Gelehrter sein Leben darauf verwandt hat,
dieses zu ergründen, so bleiben seine Werke unbekannt, und die
„parlamentarischen Geschichten“, d. h. die falschen, weil sie nur eine Seite im
Leben der Gesellschaften berücksichtigen, wachsen an Zahl, Finden Verbreitung
und werden in den Schulen gelehrt.
Aber was wir nicht bemerken, das sind jene wunderbaren Leistungen welche täglich
die spontane Gruppierung der Menschen vollbringt, die freie Vereinbarung, welche
die Hauptarbeit unseres Jahrhunderts tut.
Aus diesem Gunde gerade haben wir die Absicht, einige dieser bedeutungsvollen
Manifestationen hervorzuheben und zu zeigen, daß die Menschen - von dem
Augenblick, wo ihre Interessen sich nicht direkt zuwiderlaufen - sich wunderbar
über ein gemeinschaftliches Handeln in sehr komplizierten Fragen verständigen
können und es auch tun.
Es ist offenbar, daß in der gegenwärtigen Gesellschaft, die auf dem
individuellen Eigentum, d. h. auf dem Raub, auf dem beschränkten stupiden
Individualismus basiert ist, Erscheinungen dieser Art notwendiger Weise
beschränkt sein müssen; die Vereinbarung ist heute nicht vollkommen frei und
läuft häufig auf kleinliche, wenn nicht fluchwürdige Ziele hinaus.
Doch worauf es ankommt, das ist nicht, Beispiele zu finden, die eine blinde
Nachahmung verdienen; solche kann uns die gegenwärtige Gesellschaft unmöglich
liefern. Was uns notwendig erscheint, das ist der Nachweis, daß es trotz des
autoritären Individualismus, der uns völlig erstickt, in der Gesamtheit unseres
sozialen Lebens ein sehr großes Gebiet gibt, innerhalb dessen man nur nach
freier Vereinbarung handelt, und daß man der Regierung viel leichter entbehren
kann, als man im allgemeinen glaubt.
Zur Unterstützung unserer Behauptung haben wir schon früher die Eisenbahnen
erwähnt, wir wollen jetzt noch einmal auf sie zurückkommen.
Man weiß, daß Europa ein ungeheures Schienennetz besitzt, und daß man heute auf
diesem Eisenbahnnetz nach Belieben reisen kann - von Norden nach Süden, von
Osten nach Westen, von Madrid nach Petersburg und von Calais nach Konstantinopel
- ohne angehalten zu werden, ohne selbst den Wagen zu wechseln (wenn man einen
Expreßzug benutzt). Doch noch mehr; ein Kolli , das man an einem Schalter abgibt
findet seinen Adressaten wo derselbe auch wohnen mag, in der Türkei oder in
Zentralasien, und dies ohne eine andere Formalität, als, daß man den Namen und
Wohnort des Empfängers auf einen Zettel schreibt.
Dieses Resultat konnte auf zwei Wegen erreicht werden. Ein Napoleon, ein
Bismarck, irgend ein Potentat, der Europa erobert hatte, könnte auf einer Karte
von Paris, Berlin oder Rom aus die Richtung der Eisenbahnlinien verzeichnen und
dann die Fahrzeiten der Züge regeln. Der gekrönte Idiot Nikolaus I. hatte
vermeint, so handeln zu können.
Als man ihm die Pläne einer Eisenbahnlinie zwischen Petersburg und Moskau
vorlegte, ergriff er ein Lineal und zog auf der Karte von Russland eine gerade
Linie zwischen den beiden Hauptstädten und sagte: „Da habt Ihr die Linie.“ Und
die Eisenbahn wurde auch in gerader Linie erbaut; man füllte tiefe Täler aus und
baute schwindelnde Brücken, die man indes nach Verlauf einiger Jahre nicht mehr
benutzen konnte; der Kilometer dieser Strecke kostete im Durchschnitt zwei bis
drei Millionen Franken. Das wäre das eine Mittel; doch man hat ein anderes
gewählt. Die Eisenbahnen sind streckenweise entstanden, die einzelnen Strecken
haben sich alsdann vereinigt; und schließlich haben sich diese Hunderte von
Gesellschaften, denen diese Strecken gehören, zu verständigen gesucht, um die
Ankunfts- und Abfahrtszeiten ihrer Züge in Einklang zu bringen, um die Waren in
den Waggons eines Jeden Landes, einer jeden Gesellschaft von einem Netz auf das
andere übergehen zu lassen, ohne daß sie umgeladen würden.
Dieses Alles ist durch die freie Vereinbarung zustande gebracht worden, durch
den Austausch von Briefen und Vorschlägen, durch Kongresse, zu denen die
Delegierten kamen, um diese und jene Spezialfragen zu diskutieren - doch nicht
um ein Gesetz zu beschließen. Nach dem Kongreß kehrten sie zu ihren
Gesellschaften zurück nicht mit einem Gesetz, sondern mit einem Vertragsentwurf,
den man annehmen oder verwerfen konnte.
Gewiß hat es viele Schwierigkeiten gekostet. Gewiß hat es „Quängelpeter“
gegeben, die sich nicht überzeugen lassen wollten. Indes der gemeinsame Nutzen
hat doch schließlich Jeden zum Einverständnis genötigt, und zwar ohne daß der
Staat Armeen gegen die Widerspenstigen zu schicken brauchte.
Dieses ungeheuere Netz von untereinander verbundenen Eisenbahnen und dieses
grandiose Gewerbsleben, das sie möglich machen, bilden sicherlich die
Haupterrungenschaften unseres Jahrhunderts; und sie werden der freien
Vereinbarung gedankt Wenn Jemand dieses vor 50
Jahren vorhergesehen hätte und - es ausgesprochen hätte, so hätten unsere
Großväter ihm für einen Narren oder einen Dammkopf gehalten. Sie hätten
ausgerufen: „Niemals werdet Ihr dazu gelangen, unter diesen Hunderten von.
Aktiengesellschaften ein Einverständnis zu erzielen! Das ist eine Utopie, ein
Feenmärchen, was ihr dort erzählt. Nur eine Zentralregierung mit einer starken
Faust kann ihnen dieses allein aufnötigen.“
Das Bemerkenswerteste an dieser Organisation ist aber nun gerade, daß es für sie
keine europäische Zentralregierung gibt. Nichts dergleichen existiert. Kein
Eisenbahnminister, kein Diktator, kein Kontinentalparlament, kein leitendes
Komitee: Altes geschieht auf dem Wege des Vertrages.
Jetzt fragen wir den Staatssozialisten, der da behauptet, daß „man niemals einer
Zentralregierung entbehren kann, und sei es nur um das Erwerbsleben zu regeln“,
jetzt fragen wir denselben: „Wie können die Eisenbahnen ihrer entbehren? Wie
machen sie es möglich, Millionen von Reisenden und ganze Berge von Waren über
den ganzen Kontinent hin zu befördern? Wenn die Gesellschaften, die Besitzer der
Eisenbahnen sich haben verständigen können, warum sollten die Arbeiter, nachdem
sie sich der Eisenbahnen bemächtigt haben, sich nicht in gleicher Weise ins
Einvernehmen setzen können? Und wenn die Gesellschaft von Petersburg-Warschau
und die von Paris-Belfort miteinander auskommen können, ohne sich den Luxus
eines beiderseitigen Befehlshabers zu gestatten, warum sollte man dann in dem
Schoße der von uns geplanten Gesellschaften, jede aus einer Gruppe freier
Arbeiter bestehend, eine Regierung notwendig haben?
II.
Wenn wir durch Beispiele zu zeigen versuchen, daß die Menschen heute schon trotz
der Ungleichheit, die in der Organisation der gegenwärtigen Gesellschaft
vorherrscht, sich sehr wohl verständigen können und zwar ohne die Intervention
einer Autorität - vorausgesetzt nur, daß sich ihre Interessen nicht diametral
zuwiderlaufen - so sollen wir auch keineswegs die Einwürfe, die dagegen erhoben
werden, unberücksichtigt lassen.
Alle diese Beispiele haben ihre fehlerhafte Seite; denn es ist augenblicklich
unmöglich, eine einzige Organisation anzuführen, die nicht auf der Ausbeutung
des Schwachen durch den Starken, des Armen durch den Reichen beruhte. Aus diesem
Grunde verfehlen auch nicht die Staatssozialisten, mit der sie kennzeichnenden
Logik uns entgegenzuhalten: „Ihr seht also wohl, daß die Intervention des
Staates notwendig ist, um dieser Ausbeutung ein Ende zu machen.“
Ungeachtet der Lehren der Geschichte verschweigen sie uns, daß gerade der Staat
wesentlich dazu beiträgt, diesen Stand der Dinge zu erschweren, indem er das
Proletariat schaffen hilft und widerstandsunfähig seinen Ausbeutern überliefert.
Und sie werden auch die einfache Schlußfolgerung zu ziehen vergessen, nämlich
die, daß es unmöglich ist, die Ausbeutung zu beseitigen, so lange deren
vornehmliche Ursachen, das individuelle Kapital und das Elend, künstlich für
zwei Drittel der Bevölkerung durch den Staat aufrecht erhalten, weiter bestehen
bleiben.
Hinsichtlich des Einvernehmens zwischen den Eisenbahngesellschaften werden sie
voraussichtlich folgendes sagen: „Seht Ihr denn nicht, wie die
Eisenbahngesellschaften ihre Angestellten und die Reisenden drücken und schlecht
behandeln! Es bedarf der Intervention des Staates, um die Öffentlichkeit zu
schützen.“
Aber haben wir es nicht gesagt und wie viele Male wiederholt, daß es, solange es
Kapitalisten geben wird, auch Mißbräuche dieser Art geben wird. Gerade der Staat
- der vermeintliche Wohltäter, ist es, welcher den Gesellschaften diese
furchtbare Macht gegeben hat, welche sie heute besitzen. Hat er ihnen nicht die
Konzessionen, die Monopole geschaffen? Hat er nicht seine Truppen gegen die
Angestellten der Eisenbahnen gesandt, wenn diese sich in Streiks befanden? Und
in der ersten Zeit ihres Bestehens - dieses sieht man heute noch in Russland –
hat er da nicht das Privilegium dieser Gesellschaften soweit ausgedehnt, daß es
der Presse verboten wurde, Eisenbahnunglücksfälle zu erwähnen, damit deren
Aktien, für die er gebürgt, nicht entwertet wurden? Hat er nicht tatsächlich das
Monopol begünstigt, welches die Vanderbilts wie die Polyakoffs, die Direktoren
des P. L. M. und diejenigen der Gotthardbahn „zu den Königen der Zeit“ gemacht
hat?
Wenn wir also das stillschweigend erzielte Einvernehmen zwischen den
Eisenbahnkompagnien als Beispiel anführten, so geschah es nicht, um ein Ideal
einer technischen Organisation zu geben. Es geschah, um zu beweisen, daß, wenn
die Kapitalisten, ohne ein anderes Ziel zu haben als ihre Profite auf Kosten der
Gesamtheit zu vermehren, dazu gelangen können, die Eisenbahnen auszubeuten und
zwar ohne daß sie zu diesem Zwecke ein internationales Bureau gründen - die
Arbeitergenossenschaften es ebenso gut, wenn nicht besser, können werden, ohne
einen europäischen Eisenbahnminister zu ernennen.
Ein anderer Einwurf, scheinbar ernsterer Natur, ist folgender. Man könnte sagen,
daß die Vereinbarung, von der wir sprechen, keineswegs eine freie ist, daß die
großen Kompagnien den kleinen die Gesetze vorschreiben. Man könnte z. B. jene
reiche Kompagnie erwähnen, welche die Reisenden, die von Berlin nach Basel
wollen, zwingt, über Köln oder Frankfurt zu fahren, anstatt die Strecke über
Leipzig zu benutzen; eine andere, welche, um einflußreichen Aktionären Vorteile
zu verschaffen (bei weiten Strecken) die Waren einen Umweg von 200 Kilometern
machen läßt; eine dritte schließlich, die darauf ausgeht, Sekundärlinien
zugrunde zu richten. In den Vereinigten Staaten werden die Reisenden und die
Waren vielfach auf den unwahrscheinlichsten Strecken befördert, damit die
Dollars in die Tasche eines Vanderbilts fließen.
Unsere Antwort darauf ist die gleiche. Solange das Kapital besteht, wird das
Großkapital stets das kleine unterdrücken. Doch diese Unterdrückung resultiert
nicht allein aus dem Kapital. Gerade mit der Hilfe des Staates, mittels des
durch den Staat zu ihren Gunsten geschaffenen Monopols, unterdrücken die großen
Kompagnien die kleinen.
Marx hat uns in trefflicher Weise gezeigt wie die englische Gesetzgebung alles
getan, um die Kleinindustrie zu unterdrücken, den Bauern dem Elend zu
überliefern und den großen Industriellen ganze Bataillone von Barfüßlern
zuzuführen, die gezwungen waren, für den Spottlohn, den man ihnen bot, zu
arbeiten. Ebenso verhält es sich mit der Gesetzgebung bezüglich der Eisenbahnen.
Strategische Linien, subventionierte Linien, Linien mit dem Monopol der
internationalen Post, alle diese Einrichtungen sind geschaffen worden im
Interesse der großen Herren der Finanz. Wenn Rothschild - der Gläubiger der
gesamten europäischen Staaten - sein Kapital in irgend eine Eisenbahn steckt, so
wissen es seine getreuen Diener, die Minister, meist zu arrangieren, daß er auch
seinen Vorteil dabei findet.
In den Vereinigten Staaten - dieser Demokratie, welche uns die autoritären
Sozialisten vielfach als ein Ideal hinstellen - herrscht der furchtbarste
Schwindel in allem, was Eisenbahnen heißt. Wenn diese oder jene Kompagnie ihre
Konkurrenten durch einen erniedrigten Tarif ruiniert hat, so bereichert sie sich
sicherlich auf der anderen Seite an den Ländereien, die ihr der Staat auf Grund
von Bestechungen überläßt. Die Dokumente, die über den amerikanischen
Getreidehandel veröffentlicht worden sind, haben uns gezeigt, welchen Anteil der
Staat bei dieser Ausbeutung des Schwachen durch den Starken hatte.
Es sei hier noch einmal gesagt, der Staat hat die Macht des Großkapitals
verzehnfacht, verhundertfacht. Und wenn wir sehen, daß es den Vereinigungen der
Eisenbahnkompagnien (ebenfalls eine Frucht der freien Vereinbarung) bisweilen
gelingt, die kleinen Kompagnien gegen die großen zu schützen, so müssen wir
umsomehr die innerliche Kraft dieses Prinzips der freien Vereinbarung bewundern,
welche dies gegenüber der Allmacht des vom Staate unterstützten Großkapitals
möglich macht.
In der Tat, die kleinen Kompagnien leben trotz der Parteilichkeit des Staates
für das Großkapital. Wenn wir in Frankreich - dem Lande der Zentralisation - nur
fünf oder sechs große Kompagnien sehen, so zählt man in Großbritannien mehr als
100 Kompagnien, die sich in wunderbarer Weise zu verständigen wissen und
sicherlich besser für einen schnellen Transport der Reisenden und der Waren
organisiert sind, als die deutschen und französischen Eisenbahnen.
Übrigens liegt auch hier gar nicht der Kernpunkt. Das Großkapital, vom Staate
begünstigt, kann stets, da es sich im Vorteil befindet, das Kleinkapital
vernichten. Was uns beschäftigt, ist folgendes: Die Vereinbarung zwischen
Hunderten von Kompagnien, denen die Eisenbahnen Europas gehören, hat sich direkt
vollzogen, ohne die Intervention einer Zentralregierung, welche den
verschiedenen Gesellschaften ein Gesetz vorschrieb: sie wird aufrecht erhalten
mittels Kongressen, zusammengesetzt aus Delegierten, die miteinander diskutieren
und ihren Auftraggebern nachher Vorschläge, aber keine Gesetze bringen. Es ist
dies ein neues Prinzip, welches sich scharf von dem gouvernementalen Prinzip,
dem monarchistischen oder republikanischen, dem absolutistischen oder
parlamentarischen, unterscheidet. Es ist dies eine Neuerung, die sich heute in
Europa Geltung verschafft, wenn auch noch schüchtern, der aber die Zukunft
gehört.
III.
Wie viele Male haben wir nicht in den Schriften der Staatssozialsten Ausrufe
folgender Art gelesen: „Wer wird es also in der zukünftigen Gesellschaft auf
sich nehmen, den Verkehr auf den Kanälen zu regulieren? Wenn es einem Eurer
anarchistischen Genossen in den Sinn käme, seine Barke quer im Kanal zu
verankern, und dadurch tausend anderen Schiffern den Weg zu versperren - wer
würde ihn zur Vernunft bringen?“
Wir müssen gestehen, daß diese Annahme etwas phantastischer Natur ist. Man
könnte aber noch hinzufügen: „Wenn z. B. diese Kommune oder jene Gruppe ihre
eigenen Schiffe vor denen der anderen passieren lassen wollte und den Kanal
versperren würde, vielleicht um Steine zu laden, während das für eine andere
Kommune bestimmte Getreide unausgeladen liegen bleiben müsste ... - wer würde
dann die Schifffahrt regeln, falls keine Regierung vorhanden wäre?“
Nun, das praktische Leben hat auch hier schon gezeigt, daß man sehr gut einer
Regierung entbehren kann, hier wie anderswo. Die freie Vereinbarung, die freie
Organisation ersetzen diesen teuren und schädlichen Apparat und leisten
Besseres.
Man weiß, daß die Kanäle für Holland das sind, was für uns die Straßen. Man weiß
auch, welcher Verkehr auf den Kanälen herrscht. Was man bei uns auf
gepflasterten Wegen oder Schienen transportiert, wird in Holland auf Kanälen
befördert. Hier wäre also der Ort, wo man sich schlagen könnte, um seine Schiffe
denen Anderer zuvorkommen zu lassen. Hier wäre der Ort, wo eine Regierung
eingreifen müßte, um Ordnung im Verkehr zu schaffen.
Nichts von dem ist der Fall. Die Holländer waren praktischer; seit langer Zeit
schon haben sie anderen und besseren Rat gewußt: sie schufen Gilden, Syndikate
von Schiffern. Dies waren freie Assoziationen, welche den Bedürfnissen der
Schiffahrt selbst entsprungen waren. Die Reihenfolge der Schiffe regelte sich
auf Grund einer gewissen Einschreibetabelle, alle Kähne wurden abgefertigt in
der Reihe, wie sie gekommen waren. Keiner durfte dem ändern zuvorkommen unter
Strafe, aus dem Syndikate ausgeschlossen zu werden.Niemand durfte an einer
Landungsstelle länger als eine bestimmte Anzahl von Tagen stehen, und wenn er
innerhalb dieser Zeit keine Waren zum Verladen fand, so war es allerdings sein
Schaden, er mußte leer abfahren und den Platz Neuankommenden überlassen. Eine
Versperrung war also vermieden, selbst als die Konkurrenz der Unternehmer - die
Folge des individuellen Eigentums - intakt blieb. Schaffet dieses ab, und das
Einvernehmen wird ein noch viel herzlicheres und ein für Alle gerechteres
werden.
Man wird sagen, daß nicht jeder Eigentümer eines Kahnes dem Syndikate
anzugehören brauchte. Das war allerdings seine Sache, doch die meisten zogen es
vor, sich ihm anzuschließen. Diese Syndikate boten und bieten noch heute so
große Vorteile, daß sie sich über den Rhein, die Weser, die Oder bis nach Berlin
hin ausdehnen. Die Schiffer haben nicht gewartet, bis der große Bismarck Holland
für Deutschland annektierte und einen
Ober-Haupt-General-Staats-Kanal-Navigationsrat ernennen würde, der ebenso viele
Tressen getragen hätte, als sein Name lang war. Sie haben es vorgezogen, sich
auf internationalem Wege zu verständigen. Doch noch mehr haben sie geleistet:
eine Anzahl von Seglern, welche den Dienst zwischen den Häfen Deutschlands,
Skandinaviens wie auch Rußlands versehen, haben sich diesen Syndikaten
angeschlossen, um eine Regelung des Verkehrs im baltischen Meerbusen und eine
Harmonie in diese „chassé croisé“ von Schafen zu bringen. Frei entstanden, sich
rekrutierend aus freien Mitgliedern, haben diese Assoziationen mit Regierungen
nichts zu schaffen.
Es ist möglich, sogar sehr wahrscheinlich, daß auch hier das Großkapital das
kleine unterdrückt. Es ist auch möglich, daß das Syndikat die Tendenz lud, sich
zu einem Monopol umzugestalten, - namentlich wenn der Staat ihm seine
Vormundschaft angedeihen lässt. Vergessen wir nicht, daß diese Syndikate nur
eine Assoziation repräsentieren, deren Mitglieder persönliche Interessen
verfolgen; aber wenn die Reeder durch die Vergesellschaftung der Produktion, der
Konsumtion und des Handels gezwungen werden, zur Befriedigung ihrer Bedürfnisse
sich gleichzeitig hundert anderen Assoziationen anzuschließen, so werden die
Dinge ein anderes Gesicht bekommen. Mächtig auf dem Wasser, wird sich die Gruppe
schwach auf dem festen Lande fühlen, sie wird von ihren Prätentionen lassen, um
sich mit den Eisenbahnen, den Manufakturen und allen anderen Gruppen zu
verständigen.
In jedem Fall haben wir es hier, ohne von der Zukunft zu sprechen, mit einer
spontan entstandenen Assoziation zu tun, die der Regierung hat entbehren können.
Gehen wir jetzt zu anderen Beispielen über.
Da wir gerade von Schiffen und Booten sprechen, so wollen wir eine der schönsten
Organisationen, die in diesem Jahrhundert entstanden sind, erwähnen, eine
derjenigen, deren wir uns mit Recht rühmen können. Es ist die englische
Rettungsgesellschaft für Schiffbrüchige (Lifeboat-Assoziation).
Man weiß, daß in jedem Jahre mehr als 1000 Schiffe an den Küsten Englands
scheitern. Auf dem Meere hat ein gutes Schiff den Sturm selten zu fürchten. An
den Küsten warten aber seiner die Gefahren: die Meeresstrudel, welche den
Hintersteven zerschellen, die Windstöße, welche die Masten und die Segel
fortnehmen, die Strömungen, welche es unlenkbar machen, und die Klippen wie die
Untiefen, auf die es geschleudert werden kann.
Damals schon, als die Küstenbewohner Feuer anfachten, um die Schiffe auf die
Klippen zu locken und sich dann nach ihrer Gewohnheit der Ladung zu bemächtigen,
haben sie stets ihr Möglichstes getan, die Mannschaft zu retten. Wenn sie ein
Schiff in Not bemerkten, so machten sie ihre Nußschalen flott und eilten den
Schiffbrüchigen zu Hilfe, um - wie häufig - den Tod dabei in den Wogen zu
finden. Jeder Küstenweiler hat seine Legenden von heroischen Taten, gleichmäßig
von Frauen wie von Männern verübt - zu dem Zwecke, Mannschaften, die im
Versinken begriffen waren, zu retten.
Aber auch einige human gesinnte Männer nahmen sich dieser Sache an. Als gute
Seeleute, die sie waren, erfanden sie ein Rettungsboot, das dem Sturme trotzen
konnte, ohne umzuschlagen oder zu versinken. Auf Grund dieser Erfindung
unternahmen sie es nun, die Öffentlichkeit für ihre Unternehmung zu
interessieren, das nötige Geld aufzubringen, um Rettungsboote bauen und sie
überall an der Küste platzieren zu können, wo sie gute Dienste leisten konnten.
Diese Männer wandten sich, da sie eben keine Jakobiner waren, nicht an die
Regierung. Sie hatten eingesehen, daß sie die Unternehmung nur zu einem guten
Ende führen könnten, wenn sie sich an die Bereitwilligkeit, die Begeisterung der
Seeleute, ihre Kenntnis der Orte und namentlich - ihren Opfermut wandten.
Und um Menschen zu finden, welche sich Nachts bei dem ersten Signal in das Chaos
der Wogen stürzten, sich weder durch die Finsternis, noch durch die Brandung
zurückhalten ließen, und 5, 6, 10 Stunden gegen die Wellen kämpften, bevor sie
zu dem in Not befindlichen Schiffe gelangten - Menschen, die jederzeit bereit
wären, ihr Leben aufs Spiel zu setzen, um das anderer zu retten - mußte man an
das Gefühl der Solidarität appellieren, den Geist des Opfermutes, Dinge, die
sich nicht durch Tressen erkaufen ließen.
Es war also eine ganz spontane Bewegung, entsprossen der freien Vereinbarung und
der individuellen Initiative. Hunderte von lokalen Gruppen bildeten sich sofort
auf den Ruf dieser Männer längs der Küste. Die Männer, welche die Initiative
ergriffen hatten, waren so klug, sich nicht als Lehrer aufzudrängen; sie suchten
Belehrung und Aufklärung in den Fischerdörfern. Ein Lord sandte z. B. einem
Küstendorf 20000 Mark zum Bau eines Bootes. Das Geschenk wurde angenommen, aber
man überließ es den Fischern und Seeleuten des Ortes die Wahl der Werft, die
Bestimmung der Bauart.
Nicht in der Admiralität ließ man die Pläne zu den neuen Booten Herstellen -
„Weil es von Wichtigkeit ist“ - lesen wir in dem Rapport der Assoziation - „daß
die Rettungsmannschaften volles Vertrauen zu dem Fahrzeug haben, welches sie
besteigen, so bemüht sich das Komitee ausdrücklich, den Booten die Gestalt und
die Ausstattung zu geben, welche von den Rettungsmannschaften selbst gewünscht
wird.“
Alles geschieht durch Freiwillige, die sich in Komitees oder lokalen Gruppen
organisieren! Alles vollzieht sich durch gegenseitige Unterstützung auf dem Wege
freier Vereinbarung! - O! diese Anarchisten! Auch haben sie keine
Steuerpflichtigen, von denen sie etwas beitreiben konnten und doch verfügten sie
schon Anfang der 1890er Jahre über 860000 Mark, stammend - aus freiwilligen
Beiträgen.
Und die Erfolge dieser Organisation?
Die Assoziation besaß im Jahre 1891 293 Rettungsboote. In diesem Jahre rettet
sie 601 Schiffbrüchige und 33 Schiffe: seit ihrer Begründung hat sie 32071
menschliche Wesen gerettet.Im Jahre 1886 kamen drei Rettungsboote samt der
Bemannung in den Wogen um: sofort kamen Hunderte von neuen freiwilligen, die
sich der Gesellschaft anschlossen und neue lokale Gruppen bildeten; die Folge
war der Bau von 20 neuen Rettungsbooten.
Bemerken wir noch nebenbei, daß die Gesellschaft in jedem Jahre den Fischern und
Seeleuten ausgezeichnete Barometer zu einem dreimal so geringen Preise, als ihr
wirklicher Wert ist, liefert, daß sie weiterhin für eine Verbreitung
meteorologischer Kenntnisse sorgt und die Interessierten über die plötzlichen,
von den Gelehrten vorhergesehenen Witterungswechsel auf dem Laufenden erhält.
Wiederholen wir, daß die Hunderte von kleinen Komitees und lokalen Gruppen sich
nicht in hierarchischer Form organisiert haben und sich einzig aus freiwilligen
Rettungsmannschaften und Männern, die sich für dieses Werk interessieren,
zusammensetzen. Das Zentral-Komitee, das nichts weiter als ein Zentrum für die
Korrespondenz ist, maßt sich kein Einspruchsrecht an.
Wenn es sich darum handelt, über eine Frage der Erziehung oder lokaler Steuer zu
beschließen, nehmen die Komitees als solche an den Beratungen nicht teil, eine
Bescheidenheit, welche die Gewählten eines Munizipalrats leider nicht immer
nachahmen. Aber andererseits dulden es diese braven Leute auch nicht, daß
diejenigen, die niemals dem Sturme getrotzt haben, ihnen Gesetze über ihre
Rettungsarbeit vorschreiben. Beim ersten Notsignal eilen sie herbei,
verständigen sich über die Maßnahmen und handeln. Sie warten nicht auf Tressen;
der gute Wille treibt sie.
Nehmen wir eine andere Gesellschaft, diejenige des Roten Kreuzes. Der Name tut
nichts zur Sache, sehen wir, was sie ist, und was sie leistet.
Denkt Euch, es wäre jemand vor zwanzig Jahren gekommen und hätte gesagt: „Der
Staat, so fähig er auch sein mag, 100 000 Menschen in einem Tage massakrieren
und 50 000 verwunden zu lassen, ist doch unfähig, seinen eigenen Opfern Hilfe zu
bringen. Es ist daher nötig, - so lange einmal der Krieg existiert - daß die
Privatinitiative sich der Sache annehme, und daß die wohlgesinnten Männer sich
auf internationaler Basis zu diesem Werke der Menschheit organisieren!“
Welche Flut von Hohngelächter hätte nicht der über sich ergießen lassen müssen,
der es gewagt hätte, sich einer solchen Sprache zu bedienen. Vor allem hätte man
ihn einen Utopisten genannt, und wenn man dann es überhaupt noch der Mühe für
wert gehalten hätte, den Mund zu öffnen, so würde man erwidert haben: „Die
Freiwilligen werden immer gerade da fehlen, wo das Bedürfnis nach ihnen sich am
meisten fühlbar macht Die freien Hospitäler werden sich stets auf einen sicheren
Ort konzentrieren, während es in den Feldlazaretten am Nötigsten fehlen wird.
Die nationalen Rivalitäten werden sich so stark geltend machen, daß die armen
Soldaten ohne Hilfe sterben werden. So viel Schwätzer, so viel entmutigende
Erwägungen. Wer von uns hat nicht schon in diesem Tonfall salbadern hören!
Nun, wir wissen, wie es sich in Wirklichkeit verhält. Die Gesellschaften vom
„Roten Kreuz“ haben sich frei organisiert, überall, in jedem Lande, an Tausenden
von Orten, und als der Krieg von 1870-71 ausbrach, machten sich die Freiwilligen
an ihr Werk. Männer und Frauen kamen und boten ihre Dienste an. Hospitäler,
Feldlazarette wurden zu Tausenden organisiert; ganze Züge mit Verbandsstoffen,
Lebensmitteln, Wäsche, Medikamenten für die Verwundeten wurden entsendet. Die
englischen Komitees sandten ganze Flotten voller Lebensmittel, Kleider,
Werkzeuge, Saatgetreide, Zugvieh, sogar Dampfflüge mit Führern, um den durch den
Krieg verwüsteten Departements bei der Bestellung zu helfen. Informiert Euch nur
bei Gustave Moynier über die Gesellschaft vom „Roten Kreuz“ und Ihr werdet über
ihre ungeheuren Leistungen staunen müssen.
Was die Propheten anbetrifft, die stets bereit sind, den anderen Menschen den
Mut, die Opferfreudigkeit, die Intelligenz abzusprechen, und sich allein für
fähig halten, die Welt mittels der Rute zu regieren, - keine ihrer Vorahnungen
hat sich bestätigt.
Der Opfermut der Freiwilligen vom „Roten Kreuz“ ist über alles Lob erhaben. Sie
verlangten stets nach den gefährlichsten Posten, und wahrend die bezahlten Ärzte
des Staates mit ihrem Stabe bei der Annährung des Feindes flohen, setzten die
Freiwilligen vom „Roten Kreuz“ ihr Liebeswerk unter dem Kugelregen fort, indem
sie ruhig die Brutalitäten der Bismarckschen und Napoleonischen Offiziere
ertrugen und die gleiche Sorge allen Verwundeten, gleichgültig welcher Nation,
widmeten. Holländer und Italiener, Schweden und Belgier - ja Japaner und
Chinesen versündigten sich in wunderbarer Weise. Sie errichten ihre Hospitäler
und Feldlazarette, ganz den Bedürfnissen des Augenblicks entsprechend; sie
wetteiferten in der Pflege, die sie den Verwundeten angedeihen ließen. Und wie
viele Franzosen sprechen noch heute mit tiefer Dankbarkeit von der liebevollen
Pflege, die ihnen eine holländische oder deutsche Pflegerin hat angedeihen
lassen - in den Feldlazaretten des „Roten Kreuzes“.
Doch Alles dies wirkt nicht bei dem Autoritären. Sein Ideal ist und bleibt
Regimentsoberst, Staatsbeamter. Zum Teufel also mit dem „Roten Kreuz“, mit
seinen Hospitälern, wenn die Krankenwärter nicht Beamte sind.
Hier haben wir eine Organisation jungen Datums, welche ihre Mitglieder nach
Hundertausenden zählt, welche Feldlazarette, Hospitäler, Eisenbahnzüge besitzt,
welche die neuesten Erfahrungen in der Behandlung Verwundeter verwertet und -
die einzig der freiwilligen Initiative von einigen hochherzigen Männern gedankt
wird.
Man wird uns vielleicht entgegnen, daß die Staaten auch ihren Anteil an dieser
Organisation haben? Ja, insoweit, als sich die Staaten bemüht haben, sie für
sich in Anspruch zu nehmen. Den Vorsitz in den leitenden Komitees führen
Personen, welche von Lakaien Prinzen von Geblüt genannt werden. Kaiser und
Königinnen haben das Patronat in den nationalen Komitees inne. Aber wahrlich
nicht jenem Patronat wird der Erfolg dieser Organisation geschuldet, sondern
einzig den tausend lokalen Komitees jeder Nation, der Tätigkeit der Individuen,
dem Opfermut Aller, welche den Opfern des Krieges Linderung zu schaffen suchen.
Und die Opferfreudigkeit würde eine noch größere sein, wenn die Staaten sich
überhaupt nicht um sie kümmerten.
In jedem Fall, nicht auf die Befehle eines internationalen leitenden Komitees
haben die Engländer und Japaner, die Schweden und Chinesen sich beeilt, ihre
Hilfe den Verwundeten von 1870-71 zu bringen. Nicht auf die Befehle eines
internationalen Ministers erstanden Hospitäler auf französischer Erde und
folgten die Feldlazarette den Schlachtfeldern. Dies geschah einzig durch die
Initiative der Freiwilligen eines jeden Landes. Einmal an Ort und Stelle, wo man
ihrer bedurfte, haben sie sich keineswegs die Haare ausgerauft, wie jene
Jakobiner voraussahen: sie haben sich alle dem Liebeswerk gewidmet ohne
Unterschied der Nationalitäten.
Wir können nur bedauern, daß so große Mühen im Dienste einer so schlechten Sache
aufgewendet worden sind, und wir können nur mit dem Kinde des Dichters fragen:
„Warum verwundet man sie, wenn man sie nachher pflegt?“ Indem wir die Macht des
Kapitals und der Bourgeoisie zu brechen suchen, arbeiten wir darauf hin, diesen
Mördereien ein Ende zu machen; und wir würden lieber sehen, daß die Freiwilligen
vom „Roten Kreuz“ ihre Tätigkeit darauf verwendeten, um mit uns den Krieg aus
der Welt zu schaffen. Doch wir mußten dieser gewaltigen Organisation Erwähnung
tun, als Beweis für die fruchtbaren Resultate, die durch die freie Vereinbarung
und ein freies Hilfsbedürfnis erzielt werden.
Wenn wir die Beispiele vermehren wollten, und zwar, indem wir sie der Kunst,
Menschen auszurotten, entnehmen, wir würden kein Ende finden.
Sogar Deutschland hielt es für nötig, neben seiner großen, wohlorganisierten
Armee unzählige, freiwillige Gesellschaften mit militärischen Zwecken ins Leben
zu rufen, ich meine den Kriegerbund, die Schützenvereine, die Gesellschaften für
-militärische und -strategische Spiele, für topographische Studien usw. Diese
umfassen Militär- und Zivilpersonen, Geographen und Turner, Jäger und Techniker
usw. Sie alle haben sich in spontaner Weise gebildet, organisiert und föderiert.
Sie veranstalten Übungen auf freiem Felde und tragen wohl gleichfalls zur
Kriegstüchtigkeit des deutschen Heeres bei.
Ihr Ziel ist verdammenswert. Aber was uns an dieser Organisation der
Hervorhebung wert scheint, das ist das Faktum, daß der Staat - trotz seiner
„hohen“ Mission der militärischen Organisation - begriffen hat, daß die
Entwicklung dieser Gesellschaften viel fruchtbarer ist, wenn sie der freien
Vereinbarung der Gruppen und der freien Initiative der Individuen überlassen
bleibt.
Also selbst bezüglich des Krieges wendet man sich heute an die freie
Vereinbarung. So hat England eine Armee von 300000 Freiwilligen und seine
„Nationale Artillerieassoziation“. Noch in der Organisation befindlich ist jene
Gesellschaft für die Verteidigung der englischen Küste. Sollte diese letztere
sich einmal konstituiert haben, so wird sie sicherlich eine viel wirksamere
Tätigkeit entfalten, als das Marineministerium mit seinen Panzern, die sich
gegenseitig einrennen, und seinen Bajonetten, die sich wie Blei biegen.
Überall überlebt sich der Staat und überläßt er seine heiligsten Befugnisse
privaten Individuen. Überall dringt die freie Vereinbarung in die
„Staatsdomäne“. Doch alle diese Tatsachen, deren wir Erwähnung getan haben,
gestatten nur einen schwachen Ausblick auf das, was uns die freie Vereinbarung
in der Zukunft vorbehält, wenn es keinen Staat mehr geben wird.
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