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Internationale Arbeiter-Assoziation (IAA)
Der Tod Nestor Machnow
„Am 25. Juli starb im Hospital Tenon und am 28. Juli
wurde auf dem Friedhof Pere-Lachaise zu Paris eingeäschert der Anarchist Nestor
Machnow, der weit bekannt war als wesentlicher Anreger der großen Massenbewegung
in der Ukraine (Südrussland), einer Bewegung, die stark von freiheitlichen
Tendenzen beeinflusst war und sich nach der Revolution von 1917 abspielte- Mehr
noch als geistiger Anreger war Machnow der bemerkenswerte Organisator der
materiellen Macht dieser Bewegung, nämlich der bewaffneten Verteidigung. Mit
Hingabe, beispiellosem Heroismus und unerschütterlicher Ausdauer, schliesslich
auch mit überraschendem Können und strategischem Geschick wusste dieser einfache
Bauer, der kaum lesen konnte, während vier langer Jahre (1917-21) die zuweilen
beträchtlichen Kräfte der verschiedensten Richtungen in Schach zu halten: die
Weißen, die Oesterreicher und Deutschen, Skoropadsky, die Petljuratruppen, die
Bolschewiken usw., die alle der Reihe nach sich vorgenommen hatten, Machnow und
seine ganze Armee zu vernichten und sich in der Ukraine als absolute Herren
einzurichten. Vier Jahre lang verteidigte die sogenannte Machnowtschina mit
wunderbarem Erfolg die volle Aktionsfreiheit der werktätigen Massen einer weiten
Region gegen alle Spielarten gewaltsamer Eindringlinge, die gut geführte, gut
ausgerüstete und bewaffnete Truppen zu ihrer Verfügung hatten.
Nestor Machnow wurde geboren 1889 in Gule-Pole, einer wichtigen Stadt des
ukrainischen Departements Jekaterinoslaw. Sohn eines sehr armen Bauern, lernte
er schon in seiner Kindheit die Schrecken des Elends kennen. Im Alter von 7
Jahren musste er schon als Hirt arbeiten. Später verdiente er sein Brot sauer
als Handarbeiter und Gießer. Er war noch keine 17 Jahre alt und hatte kaum das
Lesen gelernt, als er schon wissensdurstig die geheime revolutionäre Literatur
verschlang, die Revolutionäre der verschiedenen Richtungen kennenlernte und sich
schließlich für die kommunistisch-anarchistische Richtung entschied, der er sein
ganzes Leben treu blieb.
Nachdem er sich eine Überzeugung gebildet hatte, schritt er zur Tat. Im
zaristischen Russland war der Terrorismus eine Form der Aktion, die immer wieder
die jüngsten Revolutionäre erfasste. Machnow schloss sich einer terroristischen
anarchistischen Gruppe an und nahm an mehreren Attentaten gegen die lokale
Polizei teil. 1908 wurde er verhaftet, kurz darauf zum Tode verurteilt. Wegen
seiner Minderjährigkeit wurde (...) arbeit verwandelt. Er saß seine Strafe in
Moskau ab: dem berühmten Butirki- Gefängnis. Dort nutzte er seine Einsamkeit
aus, um seine primitive Bildung zu vervollständigen. Die Februarrevolution von
1917 gab ihm die Freiheit.
In der Ukraine zurückgekehrt, nahm Machnow den Kampf wieder auf. Bis zur
Okkupation der Ukraine durch die oesterreichisch-deutschen Truppen (Frühjahr
1918) trug seine Tätigkeit in den Massen vorwiegend ökonomisch-sozialen
Charakter. Guter Massenredner, guter Organisator, versuchte er vor allem, die
bäuerlichen Massen aufzuklären und zu organisieren für kommende Kämpfe.- Seine
Popularität wuchs immer mehr. Seine Aktion verbreitete sich. Unter diesen
Umständen schoss die bolschewistische Regierung, im Oktober 1917 zur Macht
gelangt, den Frieden von Brest-Litowsk. Kurz darauf wurde die Ukraine von
Truppen überfallen. Der bewaffnete Kampf, der Bürgerkrieg begann. Damit begann
auch die „militärische“ Aktivität Machnows.
Gezwungen, die relativ friedlichen Kämpfe zu verlassen, um die Möglichkeit, sie
überhaupt noch führen zu können, zu verteidigen, griff Machnow zu den Waffen. Er
sammelte und organisierte die Bauernmassen für den neuen Kampf, der ihnen
aufgenötigt wurde. Von diesem Augenblick an, und bis zum letzten Tage seines
Aufenthaltes in Russland musste Machnow mit der Waffe in der Hand kämpfen gegen
alle Kräfte, die unter dem oder jenem Vorwand sich gegen die Soziale Revolution
in der Ukraine und die Aktionsfreiheit der arbeitenden Massen zu wenden
versuchten. Die letzte dieser Kräfte, die Rote Armee, deren zahlreiche
Divisionen von der Moskauer Regierung gegen die kleine machnowistische Armee
gesandt wurden, rottete die Bewegung aus und zwang Machnow, ins Ausland zu
fliehen (1921).
Mehrere Male schwer verwundet, an der Tuberkulose leidend, die er sich im
Gefängnis zugezogen hatte, geschwächt floh Machnow nach Polen, dann nach Danzig,
nach Berlin und zuletzt nach Paris. Sein Leben als Emigrant war ein langsames
Hinsterben sowohl in körperlicher wie in moralischer Beziehung, denn sein
kämpferischer Geist konnte sich nur schwer der erzwungenen Untätigkeit fügen. 13
Jahre noch kämpfte sein kräftiger und widerstandsfähiger Organismus gegen das
Unvermeidliche. Seit einigen Monaten schon verließ er sein Bett im Krankenhaus
nicht mehr. Nach seinem Tode konstatierte man, dass seine beiden Lungen von der
Krankheit vollständig zerstört waren. Wir glauben zu wissen, dass Machnow noch
die Zeit fand, seine Memoiren zu beenden, deren erster Band schon erschienen
ist, und deren weitere zwei von allen mit Interesse erwartet werden, die die
stürmischen Ereignisse unserer Epoche verfolgen.“
„Der „Temps“ über Machnow
Die Presse aller Richtungen hat Machnow nach seinem Tode, der längst gewohnten
bolschewistischen Darstellung folgend, einfach als weißgardistischen
Massenschlächter, Judenmörder usw. hingestellt. Ein holländisches Blatt
bezeichnete ihn als „Kosakenhäuptling“.
Eine interessante Ausnahme macht der Moskauer Sonderkorrespondent des
TEMPS-Paris, der in einem größeren Artikel u.a. schreibt:
„Die bolschewistische Presse hat keinen Raum gefunden, um Machnow einen Nachruf
zu widmen, nicht einmal eine Zeile auf der sechsten Seite hatte man übrig, um
seinen Tod anzuzeigen. Trotzdem – Machnow war eine wichtige Gestalt, und keine
Verschwörung des Schweigens wird die Rolle vergessen machen können, die dieser
populäre Mann in der Revolution und in den Kämpfen gegen Denikin insbesondere
gespielt hat. Entgegen seinen zeitweiligen Verbündeten, die es nach dem Siege
über die Weißen so eilig hatten sich seiner zu entledigen, werden die Historiker
der Zukunft ihm den Platz einräumen, der ihm unter den Männern der Revolution
zukommt... Sein politisches Programm ? Anarchist. Er will den Bauern den Boden
geben, den Arbeitern die Fabriken..., damit sie sich in freien Föderationen der
Kommunen organisieren. Das heißt, er sieht seine Feinde in den weißen Generälen,
den Denikin, den Wrangel, er hat nur Hass für die Petljura und Skoropatski, die
von den Deutschen ausgehalten werden. Aber er liebt auch die Bolschewiki von
Moskau nicht, die Kommunisten, deren Agrarprogramm die Kollektivierung vorsieht,
und die seine Parole ‚die Fabrik dem Arbeiter’ zurückweisen. Er ist gleichzeitig
gegen die Weissen und gegen die Roten. Deshalb wollte man ihn als ‚Grünen’, als
Bauernkämpfer bezeichnen, obwohl er die schwarze Fahne der Anarchisten
hochhielt... Es gelang ihm, die Südukraine unter seinen Einfluss zu bekommen,
und er versuchte dort einige seiner ‚Utopien’ zu realisieren: die Abschaffung
der Gefängnisse, die Organisation des kommunalen Lebens, die ‚freien
Kommunisten’ die ‚freien Arbeiterräte’, von denen keine soziale Schicht
ausgeschlossen wurde. Unter seiner vorübergehenden Herrschaft war die Freiheit
der Presse vollkommen, er erlaubte die Publikationen rechts- und
linssozialistischer Zeitungen ebenso wie die bolschewistischen Organe, neben den
anarchistischen Blättern. Im Laufe des Jahres 1919 wird die Rolle Machnows
entscheidend...
Nach der Vernichtung Denikins ist Machnow krank und wird von aus Moskau
entsandten Spezialärzten gepflegt. Persönlichkeiten wie Bela Kun und Kamenew
kommen ihn in Gule-Pole besuchen. Aber Trotzki, der sich Machnows und seiner
Truppen so gut zu bedienen gewusst hat, duldet seine anarchistischen Alliierten
nur ungern, er lässt die Teilnehmer ihres Kongresses in Charkow verhaften und
verhehlt als Bolschewist seine Gegnerschaft zu den anarchistischen Ideen
nicht...
Aber die Weißen schreiten noch einmal zur Offensive. Damit stellen sie das
Bündnis zwischen Machnow und Trotzki wieder her. In einem feierlichen Pakt,
Oktober 1920, wird den Anarchisten das Recht auf ihre Presse und Organisationen
zugestanden. Machnow schickt einige seiner Abteilungen gegen Wrangel... Die
Weißen werden definitiv besiegt... Seitdem datiert der offene und unversöhnliche
Kampf zwischen Machnow und Trotzki. 1921 gelingt es der Roten Armee, die Truppen
Machnows zu ‚liquidieren’. Dieser flieht im August nach Rumänien, später kommt
er nach Frankreich.
Ohne Zweifel ist die Niederlage Denikins der Bauernerhebung unter der schwarzen
Fahne Machnows viel eher zuzuschreiben als den Erfolgen der regulären Armee
Trotzkis. Die Partisanenscharen des ‚Bathko’ (Väterchen) bewirkten es, dass die
Wage sich auf die Seite der Roten neigte, und wenn Moskau das heute auch
vergessen will, so wird eine unparteiische Geschichtsschreibung dieser Tatsache
Rechnung tragen.“
Aus: „Die Internationale“ neue Folge, 1. Jg. (1934),
Nr. 2
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