Das Informationsportal zur Geschichte der syndikalistischen Arbeiterbewegung

 

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Franz Gampe

Zeit- und Streitfragen.

Die Studienkommission der Berliner Arbeiterbörse gab vor kurzem „Richtlinien für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft nach einem siegreichen Generalstreik“ heraus mit dem Ersuchen, die Genossen im Lande möchten sich nach eingehender Prüfung derselben hierzu äußern. Ich setze voraus, dass allerorts, wo es syndikalistische Organisationen gibt, ein Teil der Genossen sich beständig mit diesen schwerwiegenden Fragen beschäftigt, nicht nur in Versammlungen, sondern in persönlichen Aussprachen zwischen den leitenden Personen.

Im Wesentlichen decken sich die Ansichten aller älteren Genossen mit den Vorschlägen der Berliner Studienkommission. Doch sind auch einige Punkte darin enthalten, worüber selbst in Kreisen von edelsten Schaffensdrang erfüllter Syndikalisten die Meinungen erheblich auseinandergehen können. Dieser Umstand tritt dann hervor, wenn man es nicht bei den Vorschlägen beruhen lässt, sondern wenn wir uns in die praktische Durchführung derselben hineindenken. Bevor ich zu den aufgestellten Punkten übergehe, will ich über unser Verhalten bei einem künftigen Generalstreik im Allgemeinen einige Worte verlieren.

Maßgebend für all unsere Kombinationen ist vor allem der Zeitpunkt, wann solche Aktionen einsetzen und durchgeführt werden sollen. In den „Schlussfolgerungen“ der Richtlinien heißt es freilich, daß hierzu alle politischen Parteien und der jetzige Charakter der Zentralverbände überwunden sein müssen; also eine im wesentlichen syndikalistisch denkende Arbeiterschaft vorhanden sein müsse. Wie nun aber, wenn ohne diese Voraussetzung z.B. in allernächster Zeit die kapitalistische Gesellschaftsordnung ebenso katastrophal zusammenbricht wie 1918 der deutsche Militarismus?

Wenn das Gesamtproletariat in seiner heutigen Konstellation die Konkursmasse der Bourgeoisie übernehmen muss? Was wird übrigens das Signal zum nächsten Generalstreik sein? Doch nur ein Putsch von rechts, um den Zusammenbruch zu verschleiern. Partei- und Zentralverbandsgötter geben ihren Segen nicht mehr dazu her. Also wird es bestenfalls ein Akt der Notwehr sein. Dann müssen sofort unsere Richtlinien und Vorschläge unter die Massen verteilt werden. Nun gut; ich hoffe, dass alle unsere Organisationen solche schon längst druckfertig bereit liegen haben. Nur wesentlich kürzer gefasst. Aber, ist damit alles getan? Im großen und ganzen werden wir ja in absehbarer Zeit bei solchen Aktionen keinen nennenswerten Einfluss ausüben und uns nur durch proletarische Klassensolidarität der Sache dienlich zeigen können. Aber es gibt doch sicher auch eine ganze Anzahl Orte, wo unsere Genossen das unbegrenzte Vertrauen der Gesamtarbeiterschaft genießen.

Solche Genossen werden dann – wollen sie nicht fernerhin als Phrasendrescher gelten – durch den Willen der Massen gezwungen sein, praktische Arbeit zu leisten. Sollen wir dann, im Moment der Gefahr, die von ehrlichem Tatendrang beseelte Arbeiterschaft – nur „weil sie noch nicht reif ist“ für den ökonomischen Entscheidungskampf – den politischen Partei- Rattenfängern vor die Flöte treiben? Nie und nimmermehr! In solchen Situationen ist es heiligste Pflicht, dass dort, wo das Proletariat ohne geeignete Führung ist und zum Syndikalismus Vertrauen hegt, unsere Genossen unbedingt praktische Arbeit im Sinne unserer Prinzipienerklärung leisten müssen! Selbst dann, wenn die Gewissheit besteht, dass der sich neu ergebende Zustand nicht von längerer Dauer sein wird. Darüber muss jeder Syndikalist sich klar sein, dass die Unreife der Massen kein Entschuldigungsgrund für unterlassene, wirtschaftlich notwendige Aktionen sein darf. Hier gilt das Sprichwort: Die beste Erziehung ist das Beispiel!

Maßgebend für solche „praktische Arbeit“ ist der Grundsatz, dass beim Abbau der kapitalistischen Produktionsform all die wirtschaftstechnischen Maßnahmen ohne Anwendung von Mordwaffen und ohne Gefahr für ein Menschenleben durchgeführt werden. Damit komme ich nun auf einige Punkte der „Richtlinien“ und greife selbstverständlich nur diejenigen heraus, zu denen ich etwas zu sagen habe. Absatz 1 und 6 unter „A. Enteignung“ erregen immer noch das Hauptinteresse aller Disputanten. Manche heftige Debatte wurde schon darüber geführt, wie wir mit dem syndikalistischen Prinzip der Gewaltlosigkeit durch all die sich ergebenden Umstände hindurchsteuern werden.

Vor allem steht fest, dass bei einem eventuellen Putsch von rechts die Auseinandersetzungen mit der bewaffneten Macht nur durch den restlos einsetzenden Generalstreik erledigt werden kann. Die erste Geige spielt natürlich das Verkehrswesen. Der Massenmord, den die Bourgeoisie nun inszenieren wird, muss auf ein Minimum beschränkt bezw. ganz unmöglich gemacht werden. Darin liegt ja das Hohe, Sittliche der syndikalistischen Propaganda, dass dergleichen Konflikte ohne Blutvergießen und ohne Gefahr für Menschenleben gelöst werden sollen. Das kann nur dadurch geschehen, dass man den Gegnern die Angriffsmöglichkeit nimmt. Nun lässt aber Absatz 1 über den Abbruch des Generalstreiks unklare Schlüsse zu. Anstatt einfach im Streik zu verharren bis die Bourgeoisie mit Gegenmaßregeln einsetzt, wäre es zweckmäßiger, wenn die Arbeiterschaft, sagen wir vom zweiten Tage an, sämtliche Betriebe und Lebensmittelquellen besetzt und die Produktion sofort unter der Kontrolle revolutionärer Betriebsräte weiterführt. Zu gleicher Zeit sind von den Arbeitslosen im Verein mit entbehrlichen Arbeitern der Grossbetriebe sämtliche Verkehrswege – wie Eisenbahnen, Land- und Wasserstraßen zu überwachen, die Banken zu besetzen sowie Post und Telegraph in den Dienst der neuen Produktionsform zu stellen. Will nun die Bourgeoisie mit der Soldateska und verwandten Berufen zur Gegenrevolution schreiten, so muss sie die bewaffnete Macht in Tausende von kleinen Gruppen zersplittern, und damit ist ihre Wirkungskraft von vornherein zunichte gemacht. Mancherlei Erfahrungen aus dem Weltkrieg haben uns gelehrt, dass ein bewaffneter Haufen durch größtmöglichste Dezentralisation einfach aktionsunfähig gemacht wird. Inwieweit der einzelne aus Selbsterhaltungstrieb oder aus Rücksicht auf einen schnellen Erfolg

regelnd mit eingreifen muss, das lässt sich im voraus nicht bestimmen. Aber dies eine muss unseren Freunden der KPD und vielen unserer eigenen Genossen immer wieder gesagt werden, dass der Glaube an bewaffnete Angriffe auf die kapitalistische Gesellschaft endlich aus den Proletarierhirnen heraus muss, ohne Rücksicht darauf, welche Schwierigkeiten und ungewollte Situationen in der nahen Zukunft noch zu überwinden sind. Mögen Parteipolitiker sich darin üben, die Massen auf die Strasse zu hetzen, solange sich Dumme hierzu finden, wir müssen darnach trachten, eine spontane, generelle Verweigerung der Arbeitskraft aller Schaffenden zu erzielen. Gelingt uns dies, dann (wird) sofort zu den oben geschilderten Maßnahmen geschritten, und dabei muss jeder seine ökonomische Position verteidigen, so wie er es als Mensch den Menschen gegenüber verantworten kann.

Die restlose Vernichtung der Waffen – so sehnlichst wir dieselbe auch herbeiwünschen – wird leider noch sehr weit hinausgeschoben werden. Ich bin der Ansicht: die Menschheit, die im Materialismus, im krassesten Egoismus und im erlaubten oder unerlaubten Gebrauch der Mordwaffen erzogen ist und lebt, die muss erst vollständig aussterben und neue Generationen müssen erstehen, die im Zeichen der Nächstenliebe, der Solidarität, der Wahrheit und Vernunft emporwachsen; denen wird es dann möglich sein, die Frage der Waffenvernichtung zum Segen der Menschheit endlich zu lösen.

Über Austausch, Regelung der Produktion und Konsumption werden wir in Kürze weiter diskutieren.

Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 3/1921

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