Home
Suche
auf Syfo
/Search Syfo Pages
Other Languages/
Otras Lenguas
Kontakt
Impressum
| |
Michael Bakunin
Sozialismus und Freiheit
Freiheit für Alle
Die ernsthafte Verwirklichung von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden bleibt
unmöglich, solange die große Mehrheit der Bevölkerung vom Besitz der
elementarsten Güter des Lebens ausgeschlossen, solange sie ohne Bildung und zu
politischer und sozialer Bedeutungslosigkeit und Sklaverei - wenn nicht de jure,
so doch de facto - verdammt ist, und zwar sowohl durch ihre Armut als auch durch
die Notwendigkeit, unermüdlich und ohne Freizeit arbeiten zu müssen. Sie
produziert alle Reichtümer, auf die die Welt heute so stolz ist, und erhält als
Lohn für ihre Arbeit nur einen so geringen Teil davon, daß es kaum für das
tägliche Brot des Arbeiters genügt ... Wir sind überzeugt, daß Freiheit ohne
Sozialismus Privilegienwirtschaft und Ungerechtigkeit, und Sozialismus ohne
Freiheit Sklaverei und Brutalität bedeutet.
Die Polemik zwischen Anarchisten und Marxisten über die Idee des Staates
Sie (die Marxisten) behaupten, dies Staatsjoch - die Diktatur - sei als Mittel
einer Übergangsphase notwendig, um die Befreiung des Volkes zu erreichen.
Anarchismus oder Freiheit sei dies Ziel, der Staat oder die Diktatur das Mittel.
Daher müsse man, wolle man die arbeitenden Massen befreien, sie erst einmal
versklaven.
Daran gerade entzündet sich unsere Polemik. Sie behaupten, nur eine Diktatur -
selbstverständlich die ihre - könne zur Entstehung eines Volks willens führen,
während wir darauf erwidern: Keine Diktatur kann ein anders Ziel haben als ihre
eigene Perpetuierung, und sie kann nur Sklavengeist zeugen in dem Volk, das sie
duldet; Freiheit kann nur durch Freiheit geschaffen werden, d. h. durch eine
allumfassende Rebellion von Seiten des Volkes und freie Organisation der
arbeitenden Massen von unten nach oben.
Während die politische und soziale Theorie der Anti-Staats-Sozialisten oder
Anarchisten sie stetig dem Bruch mit allen Regierungen entgegenführt, mit allen
Formen bürgerlicher Politik, und ihnen nur noch den Weg der sozialen Revolution
offen läßt, weist die entgegengesetzte Theorie des Staatskommunismus und der
wissenschaftlichen Autorität ihre Anhänger unter dem Vorwand taktischer
politischer Notwendigkeiten auf dem Weg endloser Kompromisse mit Regierungen und
politischen Parteien und verstrickt sie in Machenschaften mit diesen, d. h. sie
drängt sie auf den Weg unleugbarer Reaktion.
Der Hauptpunkt des politiko-sozialen Programms Lasalles und der kommunistischen
Theorie von Marx ist die (eingebildete) Befreiung des Proletariats durch den
Staat. Aber dazu ist es notwendig, daß der Staat einwilligt, es auf sich zu
nehmen, das Proletariat vom Joch des bürgerlichen Kapitals zu befreien. Wie kann
man dem Staat einen solchen Willen einflößen? Es gibt nur zwei Mittel, mit denen
das zu erreichen wäre. Das Proletariat müßte eine Revolution wagen, um den Staat
zu erobern - ein reichlich heroisches Unterfangen. Und unserer Ansicht nach
müßte das Proletariat, sobald es den Staat erobert hat, unverzüglich beginnen,
ihn und damit das ewige Gefängnis der arbeitenden Massen zu zerstören. Nach der
Theorie von Marx jedoch soll das Volk den Staat nicht zerstören, sondern stärken
und ausbauen und ihn in seiner neuen Form in die Hände seiner Wohltäter,
Beschützer und Lehrer, der Führer der Kommunistischen Partei - mit einem Wort in
Marxens und seiner Freunde Hände legen, die es auf ihre Weise zu befreien
beginnen werden.
Sie werden alle Regierungsgewalten in ihren starken Händen konzentrieren, weil
die bloße Tatsache, daß die Massen unwissend sind, starke, besorgte Lenkung
durch die Regierung notwendig macht. Sie werden eine einzige Staatsbank gründen,
in der alle kommerzielle, industrielle, agrarische und sogar wissenschaftliche
Produktion konzentriert sein wird; und sie werden die Masse des Volkes in zwei
Armeen aufteilen - eine industrielle und eine agrarische Armee unter der
direkten Befehlsgewalt von staatlichen Technokraten, die die neue privilegierte
wissenschaftlich-politische Klasse bilden werden. Man sieht, was für ein
glanzvolles Ziel die deutsche Kommunistische Schule dem Volk vor Augen stellt.
Die beschränkte Rolle des Individuums in einer Revolution
In einer sozialen Revolution, die einer politischen Revolution in allem
diametral entgegengesetzt ist, zählen die Aktionen von Individuen fast gar
nicht, während die spontane Aktion der Massen alles bedeutet. Was Individuen zu
tun in der Lage sind, beschränkt sich darauf, Vorstellungen zu erläutern, zu
propagieren und auszuarbeiten, die dem Masseninstinkt entsprechen, und, was mehr
ist, ihre endlosen Bemühungen der revolutionären Organisation der natürlichen
Macht der Massen zu widmen - aber nicht mehr als das; der Rest kann und muß vom
Volke selbst getan werden. Jede andere Methode würde zu politischer Diktatur,
zum Wiedererstehen des Staates, zu Privilegien und Ungleichheiten, überhaupt zu
allen mit dem Staate zusammenhängenden Repressionen führen - d. h. sie würde auf
einem Umweg, aber völlig logisch zur erneuten Etablierung der politischen,
sozialen und ökonomischen Sklaverei der Massen des Volkes führen.
Varlin und alle seine Freunde, so wie alle aufrichtigen Sozialisten und ganz
allgemein wie alle Arbeiter, die inmitten des Volkes geboren und aufgewachsen
sind, teilten zu einem hohen Grade diese völlig legitime Abneigung gegen eine
Initiative, die von isolierten Individuen ausgeht, gegen die Herrschaft, die von
überlegenen einzelnen ausgeübt wird, und da sie konsequent waren, dehnten sie
dies Vorurteil und Mißtrauen auch auf ihre eigene Person aus.
Staatlich verordnete Revolutionen müssen scheitern
Im Gegensatz zu den m. E. nach dem höchsten Grade trügerischen Vorstellungen der
autoritären Kommunisten, nach denen die soziale Revolution durch eine Diktatur
oder eine Wählerversammlung verordnet und organisiert werden kann - waren unsere
Freunde, die Pariser Sozialisten, der Meinung, daß eine Revolution nur durch
spontane und ununterbrochene Massenaktion von Gruppen und Assoziationen der
Bevölkerung durchgeführt und zur vollen Entfaltung gebracht werden kann. Unsere
Pariser Freunde hatten tausendmal recht. Denn es gibt tatsächlich keinen Geist,
mag er auch noch so sehr mit der Qualität eines Genius ausgestattet sein, - oder
wenn wir von einer kollektiven Diktatur sprechen, die aus mehreren Hundert
äußerst begabten Individuen besteht: es gibt keine Kombination von klugen
Köpfen, die so gewaltig wäre, all die unendliche Vielfalt und
Verschiedenartigkeit realer Interessen, Sehnsüchte, Willensäußerungen und
Bedürfnisse zu umfassen, die in ihrer Totalität den kollektiven Willen des
Volkes konstituieren; es gibt keinen Intellekt, der in der Lage wäre, eine
soziale Organisationsform zu erfinden, die es möglich machte, alle und jeden
zufriedenzustellen.
Solch eine Organisation wäre immer ein Prokrustesbett, in das die unglückliche
Gesellschaft mit mehr oder weniger vom Staate sanktionierter Gewalt gezwungen
würde. Dieses alte System einer auf Gewalt basierenden Organisation ist es aber
gerade, mit dem die soziale Revolution dadurch aufräumen sollte, daß sie den
Massen, Gruppen, Kommunen, Assoziationen und sogar den Individuen volle Freiheit
gewährt, sowie dadurch, daß sie ein für alle Mal die historische Ursache jeder
Gewalt zerstört, die in der bloßen Existenz des Staates zu suchen ist. Sein Fall
würde die Zerstörung aller Ungerechtigkeiten des richterlichen Rechts und aller
Falschheit der verschiedenen Kulte nach sich ziehen. Dieses Recht und diese
Kulte haben immer einfach aller Gewalt, die vom Staate repräsentiert, garantiert
und autorisiert war, als gefällige ideelle und reale Weihe gedient.
Es ist offensichtlich, daß die Menschheit erst, wenn der Staat aufgehört hat zu
bestehen, ihre Freiheit erlangen wird, und die wahren Interessen der
Gesellschaft und aller Gruppen, aller lokalen Organisationen und aller
Individuen, die diese Organisationen konstituieren, werden erst dann ihre wahre
Befriedigung finden.
Freiheit und Gleichheit
Ich bin ein überzeugter Anhänger ökonomischer und sozialer Gleichheit, denn ich
weiß, daß außerhalb dieser Gleichheit die Werte der Freiheit, Gerechtigkeit,
Menschenwürde, Moral und des Wohls der Individuen sowie des Blühens der Nationen
sich in ihr Gegenteil verkehren. Aber da ich gleichzeitig ein Anhänger der
Freiheit, der Grundvoraussetzung menschlichen Seins bin, glaube ich, daß die
Gleichheit in der Welt etabliert werden sollte durch die spontane Organisation
von Arbeit und kollektivem Eigentum, durch die freie Organisation von
Produzentenvereinigungen in Kommunen und die freie Föderation von Kommunen -
nicht aber durch die schützende Hand des als Vormund agierenden Staates.
Zielgleichheit und Methodendifferenz von autoritären und libertären
Revolutionären
Genau an diesem Punkt trennen sich die Sozialisten oder revolutionären
Kollektivisten von den autoritären Kommunisten, den Anhängern der absoluten
Initiative des Staates. Das Ziel beider ist dasselbe: beide Parteien wünschen
die Schaffung einer neuen sozialen Ordnung, die ausschließlich auf kollektiver
Arbeit gegründet sein soll, und zwar unter ökonomischen Bedingungen, die für
alle gleich sind - d. h. unter den Bedingungen kollektiven Besitzes der
Produktionsmittel.
Nur glauben die Kommunisten dies zu erreichen durch Entwicklung und Organisation
der politischen Macht durch die Arbeiterklasse selbst, d. h. vornehmlich durch
das Proletariat der Städte, dem die bürgerlichen Radikalen beistehen sollen, -
wohingegen die revolutionären Sozialisten, die Feinde aller zweideutigen
Allianzen, glauben, daß dies gemeinsame Ziel nicht durch die politische, sondern
durch die soziale (und damit anti-politische) Organisation und Macht der
arbeitenden Massen der Städte und Dörfer zu erreichen sei, unter Einschluß all
jener, die, obwohl der Geburt nach den oberen Klassen angehörend, aus freiem
Willen mit ihrer Vergangenheit gebrochen und sich offen dem Proletariat
angeschlossen und dessen Programm akzeptiert haben.
Von daher lassen sich die unterschiedlichen Methoden der beiden Gruppen
verstehen. Die Kommunisten glauben, es sei nötig, die Kräfte der Arbeiter zu
organisieren, um von der politischen Macht des Staates Besitz zu ergreifen. Die
revolutionären Sozialisten organisieren zum Zwecke der Zerstörung oder - falls
Sie eine subtilere Ausdrucksweise vorziehen - der Liquidierung des Staates. Die
Kommunisten sind Anhänger des Prinzips und der Praxis der Autorität, während
revolutionäre Sozialisten ihr Vertrauen nur auf die Freiheit setzen. Beide sind
gleichermaßen Anhänger der Wissenschaft, die den Aberglauben zerstören und den
Platz des Glaubens einnehmen soll; aber die Kommunisten wünschen, dem Volke die
Wissenschaft aufzuzwingen, während die revolutionären Kollektivisten versuchen,
Wissen und Wissenschaftsgeist im Volke zu verbreiten, so daß die verschiedenen
Gruppen der menschlichen Gesellschaft, nachdem sie durch die Propaganda
überzeugt wurden, sich selbst organisieren mögen und ganz spontan zu
Föderationen zusammenschließen. Sie bleiben dabei im Einklang mit ihren
natürlichen Tendenzen und ihren wahren Interessen und brauchen sich keinem Plan
zu beugen, der im voraus entworfen und den unwissenden Massen durch ein paar
»überlegene« Köpfe aufgezwungen wurde. Revolutionäre Sozialisten glauben, daß
sehr viel mehr an praktischer Vernunft und Intelligenz in den instinktiven
Sehnsüchten und realen Bedürfnissen der Massen des Volkes vorhanden ist als in
dem tiefen Geist all dieser gelehrten Doktoren und selbsternannten Erzieher der
Menschheit, die, all die traurigen Beispiele fehlgeschlagener Versuche der
Menschheitsbeglückung vor Augen, immer noch vorhaben, in derselben Richtung
weiterzuarbeiten. Die revolutionären Sozialisten glauben aber, daß die
Menschheit, ganz im Gegenteil, sich lange, viel zu lange, hat beherrschen
lassen, und daß die Quelle ihres Unglücks nicht in dieser oder jener Form der
Regierung, sondern im Prinzip selbst und in der bloßen Existenz der Regierung
liegt, wie immer ihre Natur aussehen mag.
Diese schon historisch gewordene Meinungsverschiedenheit besteht noch heute
zwischen dem wissenschaftlichen Kommunismus, wie er durch die deutsche Schule
entwickelt und von amerikanischen und englischen Sozialisten teilweise
übernommen wurde, und dem Proudhonismus, der bis zu seinen letzten Konsequenzen
entwickelt wurde und heute vom Proletariat der romanischen Länder akzeptiert
ist. Der revolutionäre Sozialismus trat in der Pariser Kommune zum ersten Mal
glänzend und praktisch in Erscheinung.
Entnommen von Anarchismus.at
| |
Seit_2007
Since 2007
|