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Michael Bakunin
Zusammenfassung der Grundideen des Revolutionären
Katechismus (1866)
a) Verneinung Gottes.
b) Achtung der Menschheit muß den Kult der Gottheit ersetzen. Die menschliche
Vernunft wird als einziges Kriterium der Wahrheit anerkannt, das menschliche
Gewissen als Grundlage der Gerechtigkeit und die individuelle und kollektive
Freiheit als Quelle und einzige Grundlage der Ordnung in der Menschheit.
c) Die Freiheit des einzelnen kann nur in der Gleichheit Aller verwirklicht
werden. Die Verwirklichung der Freiheit in der Gleichheit ist die Gerechtigkeit.
d) Absoluter Ausschluß des Prinzips der Autorität und Staatsräson. Die Freiheit
muß das einzige konstituierende Prinzip der ganzen sozialen Organisation, der
politischen sowie der ökonomischen sein. Die Ordnung in der Gesellschaft muß das
Gesamtergebnis der größtmöglichen Entwicklung aller lokalen, kollektiven und
individuellen Freiheiten sein. Die ganze politische und ökonomische Organisation
muß folglich nicht, wie heute, von oben nach unten und vom Zentrum zur
Peripherie ausgehen nach dem Prinzip der Einheit, sondern von unten nach oben
und von der Peripherie zum Zentrum nach dem Prinzip der freien Assoziation und
Föderation.
e) Politische Organisation. Abschaffung jeder vom Staat geschützten und
bezahlten offiziellen Kirche. Absolute Gewissens- und Kultusfreiheit mit
unbeschränktem Recht eines Jeden, seinen Göttern Tempel zu errichten und seine
Priester zu bezahlen. Absolute Freiheit der religiösen Assoziationen, die
übrigens keine politischen und bürgerlichen Rechte besitzen und sich nicht mit
der Erziehung von Kindern werden beschäftigen können. Abschaffung und Bankrott
des zentralisierenden und bevormundenden Staates. - Absolute Freiheit des
einzelnen, Anerkennung der politischen Rechte nur derer, die von ihrer Arbeit
leben, unter der Bedingung, daß sie die Freiheit der Anderen achten. Allgemeines
Stimmrecht, unbegrenzte Presse-, Propaganda-, Rede- und Versammlungsfreiheit
(für öffentliche und private Versammlungen). Absolute Assoziationsfreiheit,
wobei aber die juridische Anerkennung nur denen zuteil wird, die durch ihren
Zweck und ihre innere Einrichtung sich nicht in Gegensatz zu den Grundprinzipien
der Gesellschaft stellen. Absolute Autonomie der Gemeinde mit dem Recht der
Verwaltung und selbst der inneren Gesetzgebung, sobald dieselben den der
Provinzialverfassung zugrundeliegenden Prinzipien entsprechen, falls die
Gemeinde zur Föderation und die Provinzialgarantie genießen will. Die Provinz
soll nur die Föderation der Gemeinden sein. - Autonomie der Provinz gegenüber
der Nation mit dem Recht der Verwaltung und inneren Gesetzgebung, sobald
dieselben den Grundprinzipien der Nationalverfassung entsprechen, falls die
Provinz zur Föderation gehören und die Nationalgarantie genießen will. - Die
Nation soll nur die Föderation der Provinzen sein, die freien Willens zu ihr
gehören wollen; sie hat die Pflicht, die Autonomie jeder Provinz zu achten, aber
das Recht zu verlangen, daß die Verfassung und besondere Gesetzgebung einer
Provinz, die zur Föderation gehören und die Nationalgarantie genießen will, der
nationalen Verfassung und Gesetzgebung in den wesentlichen Punkten entsprechen,
daß in Sachen der gegenseitigen Beziehungen der Provinzen und der allgemeinen
Interessen der Nation jede Provinz die von dem Nationalparlament votierten und
ihr von der Nationalregierung mitgeteilten Dekrete ausführe, und daß jede
Provinz sich den Entscheidungen des Nationalgerichts füge, vorbehaltlich des
Appells an das internationale Gericht, wenn dieses bestehen wird. Bei
Verweigerung des Gehorsams in einem dieser drei Fälle wird die Provinz außerhalb
des Gesetzes und außerhalb der nationalen Solidarität gestellt und im Fall eines
Angriffs ihrerseits gegen eine der föderierten Provinzen wird sie von der
nationalen Armee zur Räson gebracht werden.
Abschaffung des sogenannten historischen Rechts, des Rechts der Eroberung und
jeder auf Arrondierung, Vergrößerung, Ruhm und äußere Macht des Staates
abzielenden Politik. Wohlstand und Freiheit aller Nationen sind solidarisch, und
jede muß ihre Macht in ihrer Freiheit suchen. Die nationale Unabhängigkeit ist
ein nationales, unveräußerliches Recht wie die des einzelnen; aufgrund dieser
Tatsache muß sie heilig sein, aber nicht aufgrund des historischen Rechts.
Daraus, daß ein Land mit einem andern durch Jahrhunderte vereinigt war, auch
wenn dies freiwillig geschehen, folgt nicht, daß es diese Vereinigung weiterhin
dulden muß, wenn es nicht mehr will; denn die vergangenen Generationen haben nie
das Recht, die Freiheit der gegenwärtigen und künftigen Generationen zu
veräußern. Jede Nation, Provinz und Gemeinde wird also das absolute Recht haben,
über sich selbst zu verfügen, sich mit andern zu alliieren oder die früheren und
gegenwärtigen Allianzen zu brechen und neue einzugehen, ohne daß ein anderes
Land das Recht und das Interesse hätte, sie daran zu hindern. Jede
Gewalttätigkeit auf diesem Gebiet muß von der ganzen nationalen Föderation
unterdrückt werden, denn jeder Angriff gegen die Freiheit eines einzigen Landes
ist eine Beleidigung, eine Bedrohung, ein indirekter Angriff gegen die Freiheit
aller Nationen. - Schließlich internationale Föderation und revolutionäre
Solidarität der freien Völker gegen die reaktionäre Koalition der noch
versklavten Länder.
f) Soziale Organisation. -Die politische Gleichheit ist unmöglich ohne
ökonomische Gleichheit. - Die ökonomische Gleichheit und soziale Gerechtigkeit
sind unmöglich, solange nicht in der Gesellschaft für jedes ins Leben tretende
menschliche Wesen vollständige Gleichheit des Ausgangspunkts besteht, gebildet
durch Gleichheit der Mittel für Unterhalt, Erziehung und Unterricht und später
für Betätigung der verschiedenen Fähigkeiten und Kräfte, welche die Natur in
jeden einzelnen gelegt hat. Abschaffung des Erbrechts. Der Fond für öffentliche
Erziehung wird allein das Recht besitzen, zu erheben, da er zu seinen Lasten den
Unterhalt, die Beaufsichtigung, Erziehung und den Unterricht der Kinder von der
Geburt bis zu ihrer Mündigkeit hat. - Da Arbeit allein Produkte hervorbringt,
muß jeder arbeiten, um zu leben, oder er wird als Dieb betrachtet werden.
Intelligente und freie Arbeit, die Grundlage der Menschenwürde und aller
politischen Rechte, und die Einzelarbeit verschmelzen täglich mehr in der
assoziierten Arbeit. - Grund und Boden, das Eigentum aller, werden nur im Besitz
derer sein, die sie bebauen. Gleichheit von Mann und Weib in allen politischen
und sozialen Rechten. Abschaffung der auf dem bürgerlichen Recht und dem
Eigentum begründeten legalen Familie. Freie Ehe. Die Kinder gehören weder den
Eltern noch der Gesellschaft. Die oberste Vormundschaft der Kinder, die
Erziehung und ihr Unterricht gehören der Gesellschaft. - Die Schule wird die
Kirche ersetzen. Ihr Ziel: die Schaffung des freien Menschen. Abschaffung der
Gefängnisse und des Henkers. - Achtung und Sorgfalt für die Alten, die
Arbeitsunfähigen und die Kranken.
Revolutionäre Politik. Unsere Grundüberzeugung ist, daß, da die Freiheiten aller
Nationen solidarisch sind, die besonderen Revolutionen der einzelnen Länder es
auch sein müssen, daß es von jetzt ab in Europa wie auf der ganzen zivilisierten
Welt nicht mehr Revolutionen gibt, sondern nur die universelle Revolution, so
wie es nur noch eine einzige europäische und Welt-Reaktion gibt, daß folglich
alle besonderen Interessen, alle nationalen Eitelkeiten, Ansprüche,
Eifersüchteleien und Feindseligkeiten heute verschmelzen müssen in dem einzigen
gemeinsamen und universellen Interesse der Revolution, welche die Freiheit und
die Unabhängigkeit jeder Nation durch die Solidarität aller Nationen sichern
wird; daß ferner die Heilige Allianz der Welt-Reaktion und die Verschwörung der
Könige, des Klerus, des Adels und des bourgeoisen Feudalismus, gestützt auf
ungeheure Budgets, stehende Heere, eine enorme Bürokratie, die über all die
schrecklichen Mittel verfügen, die ihnen die moderne Zentralisation gibt, mit
ihrer Gewohnheit, sozusagen der Routine ihres Vorgehens und dem Recht zu
konspirieren und all und jedes auf ein Gesetz gestützt zu tun, daß all dies eine
ungeheure, drohende, vernichtende Tatsache ist, und daß zu deren Bekämpfung, um
ihr eine ebenso mächtige Tatsache entgegenzustellen, um sie zu besiegen und zu
zerstören, nicht weniger gehört als die gleichzeitige revolutionäre Allianz und
Aktion aller Völker der zivilisierten Welt. Gegen diese Weltreaktion kann die
isolierte Revolution keines Volks Erfolg haben, sie wäre eine Torheit, folglich
ein Fehler für dieses Volk selbst und ein Verrat, ein Verbrechen gegen alle
andern. Von jetzt ab muß die Erhebung jedes Volks nicht in Hinblick auf sich
selbst, sondern im Hinblick auf die ganze Welt geschehen. Damit aber eine Nation
sich derart im Namen der ganzen Welt erhebe, muß sie das Programm der ganzen
Welt haben, ein hinreichend breites, tiefes, wahres, mit einem Wort
hinreichendmenschliches Programm, so daß es die Interessen aller umfaßt und die
Leidenschaften der ganzen Volksmassen Europas ohne Unterschied der Nationalität
elektrisiert - ein solches Programm kann nur das der demokratischen und sozialen
Revolution sein.
Das Ziel der demokratischen und sozialen Revolution kann in zwei Worten
definiert werden: Politisch ist es die Abschaffung des historischen Rechts, des
Rechts der Eroberung und des diplomatischen Rechts. Es ist die vollständige
Befreiung der Personen und Assoziationen vom Joch der göttlichen und
menschlichen Autorität, - die absolute Zerstörung aller erzwungenen
Vereinigungen und Zusammenfügungen von Gemeinden zu Provinzen, von Provinzen und
eroberten Ländern zum Staat. Es ist endlich die radikale Auflösung des
zentralistischen, bevormundenden, autoritären Staates mit allen militärischen,
bürokratischen, regierenden, verwaltenden, gerichtlichen und bürgerlichen
Einrichtungen. Es ist, mit einem Wort, die Rückgabe der Freiheit an Alle,
Personen, Kollektivkörper, Assoziationen, Gemeinden, Provinzen, Regionen und
Nationen und die gegenseitige Garantie dieser Freiheit durch die Föderation.
Sozial ist es die Bekräftigung der politischen Gleichheit durch die ökonomische
Gleichheit. Im Beginn der Laufbahn eines jeden liegt die Gleichheit des
Ausgangspunkts, eine nicht von der Natur gegebene, sondern soziale Gleichheit
für jeden, d. h. Gleichheit der Mittel für Unterhalt, Erziehung und Unterricht
für jedes Kind beider Geschlechter bis zum Alter seiner Mündigkeit.
Entnommen von Anarchismus.at
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