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Erich Mühsam: Absage an die Rote Hilfe (1929)
Werte Genossen!
Hierdurch erkläre ich meinen Austritt aus der Roten Hilfe Deutschlands.
Entscheidend für diesen Entschluß, der mir nicht leicht fällt, ist die in der
„Roten Fahne“ mitgeteilte Tatsache, dass die Rote Hilfe eine eigene Werbeaktion
für das Zentralorgan der Kommunistischen Partei vornehmen wolle.
Damit entfällt die letzte Möglichkeit, die RH als eine überparteiliche
Organisation anzuerkennen und den Genossen linksrevolutionärer Richtungen mein
Verbleiben in der RH als ein Verhalten begreiflich zu machen, das keinerlei
Verpflichtungen für eine bestimmte politische Partei in sich schließe.
Ale ich vor 4 Jahren aus der bayerischen Gefangenschaft kam, stellte ich meine
rednerische und organisatorische Kraft in weitem Maße der roten Hilfe zur
Verfügung, und es wird kaum bestritten werden können, dass ich dieser
Organisation eine sehr große Zahl Mitglieder und aktive Helfer zuführte.
Voraussetzung war für mich, dass ich bei meiner Tätigkeit meinen Charakter als
Anarchist niemals zu verleugnen brauchte; diese von mir von Anfang an gestellte
Bedingung wurde mir ausdrücklich zugebilligt. Ich habe mir durch mein Wirken im
Rahmen und zum Nutzen der RH in den mir nahestehenden revolutionären Kreisen
viel Anfeindung zugezogen, mich jahrelang schwerstem Missverstehen meiner
Haltung ausgesetzt, aber all dies in kauf genommen um der Genossen willen, die
als Opfer der Klassenjustiz in den Zuchthäusern und Gefängnissen die
solidarische Zusammenarbeit aller proletarischen Organisationen erwarten. Um
ihretwillen habe ich auch die meines Erachtens durchaus unsachgemäße, weil
bürokratische Organisationsform der RH hingenommen und zu zahlreichen
befremdenden, außerhalb der Aufgaben einer Inhaftierten- und
Revolutionsopferhilfe liegenden Aktionen der RH geschwiegen, wie vor kurzem erst
der Agitation für die parteikommunistische Kandidatenliste bei den
Konsumgenossenschaftswahlen u.ä.
Auch die Parteinahme der Roten Hilfe Deutschlands gegen die linksrevolutionären
Gefangenen und Verfolgten in Russland hat mich nur dazu veranlasst, meine
Tätigkeit in der Organisation auf die Arbeit zu beschränken, die innerhalb der
deutschen Angelegenheiten zur Abwehr der Klassenjustiz zu leisten ist. Immer
hielt mich die Rücksicht auf die gefangenen Genossen zurück, mit einer
Organisation zu brechen, die bei ihnen bis jetzt als überparteiliche
Klassenorganisation galt. Ich blieb Mitglied, obwohl mein Auftreten als
Delegierter bei der Bezirkskonferenz Berlin-Brandenburg 1927, bei der ich an
manchen Übelständen Kritik übte und vor allem die Forderung vertrat, die RH habe
sich für eine Amnestie der linksrevolutionären Gefangenen und Verbannten
Russlands einzusetzen, nur dazu führte, dass von meiner agitatorischen
Mitwirkung keinerlei Gebrauch mehr gemacht wurde. Ich habe seitdem meine Arbeit
für die Gefangenen unvermindert fortgesetzt, musste mir nur zur öffentlichen
Aufklärung andere Möglichkeiten schaffen, als sie mir vorher von der RH geboten
wurden.
Die Fiktion, als ob die Rote Hilfe Deutschlands tatsächlich selbständig sei, zu
der ich und meine Freunde, die der RH angehören, uns immer wieder überredeten,
lässt sich selbstverständlich nicht mehr halten, wenn die Organisation jetzt
dazu übergeht, aus der Arbeiterpresse ein einzelnes Blatt herauszugreifen, das
lediglich Organ einer zur Zeit dominierenden Richtung innerhalb einer besonderen
Partei ist und das von allen linksrevolutionären Parteien und Gruppen, die
korporativ oder in Einzelmitgliedschaften ebenfalls in der RH vertreten sind,
gleichmäßig scharf abgelehnt wird. Die Einleitung einer eigenen Werbeaktion für
die „Rote Fahne“ durch die RH bedeutet vollkommene Preisgabe der
Überparteilichkeit und schwerste Brüskierung aller Mitglieder der Organisation,
die etwa einer antiparlamentarischen oder gewerkschaftsfeindlichen, selbst auch
nur einer kommunistisch-oppositionellen oder unabhängig-sozialdemokratischen
Bewegung angehören. Eine Werbeaktion für alle linksgerichteten proletarischen
Zeitungen und Zeitschriften ohne Unterscheidung der Fraktionen, in die,
ausgesprochen oder nicht, auch die Rote Hilfe zerfällt, wäre bei den
proletarischen Mitgliedern und erst recht bei den Gefangenen verstanden und
gebilligt worden.
Mein weiteres Verbleiben in der RH müsste mich neuen Missdeutungen meiner
Gesinnung aussetzen, denen ich kein wirksames Argument mehr entgegenzusetzen
hätte. Ich trete daher aus und werde meine Kraft weiterhin für die Opfer der
Staatsjustiz rege gebrauchen. Dabei beabsichtige ich durchaus nicht, eine
Kampfstellung gegen die RH zu beziehen; soweit eine ersprießliche
kameradschaftliche Zusammenarbeit geleistet werden kann, werde ich zur Verfügung
stehen. Doch ist für mich als Mitglied kein Raum mehr in einer Organisation, in
der ich genötigt werde, eine Parteipolitik zu fördern, die ich für falsch und
der revolutionären Arbeiterbewegung abträglich halte. Mit revolutionärem Gruß!
Erich Mühsam
(Einschreiben an den Zentral-Vorstand der Roten Hilfe Deutschlands vom 15.
Januar 1929, aus: Erich Mühsam, In meiner Posaune muß ein Sandkorn sein. Briefe
1900 - 1934, hrsg. von Gerd W. Jungblut)
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